Sibirien, Bayern, Warner Music: ZAVET im Gespräch

Tauchen wir in die Welt der aufstrebenden R&B-Musikerin ZAVET ein. Ihr Name wird in der deutschen Musikszene immer lauter, doch nur wenige wissen, dass die Künstlerin sich damit ihren eigentlichen Vornamen zurückholt: Elizaveta. Geboren in Sibirien und aufgewachsen in Bayern, reflektiert ZAVET in ihren Songs sowohl die Migrationsgeschichte der Familie als auch ihre eigenen Erfahrungen in Deutschland. Dabei bringt sie ihre eigene Story und Persönlichkeit zum Ausdruck, während sie mit Stereotypen spielt und neue Bilder von Sibirien vermittelt.

Wir erfahren, wie sie von ihrem Traumberuf als Musikerin von Kindheit an fasziniert war und wie sie schließlich den Mut fand, ihre Leidenschaft zur Berufung zu machen. Außerdem erzählt sie uns über die Einflüsse in ihrer Musik, die Bedeutung ihrer Texte und das Leitmotiv in ihrem künstlerischen Schaffen – Sibirien.

osTraum: Wie möchtest du genannt werden – ZAVET mit Betonung auf dem „a“ oder auf dem „e“?

ZAVET: Ja, genau, mit Betonung auf dem „a“. Der Name kommt von meinem ganzen Namen Elizaveta und ist eine Abkürzung davon, also ZAVET.

osTraum: Also steckt kein tieferer Sinn dahinter, weil es im Russischen das Testament, Gelübde, Vermächtnis, Großmut oder Ratschlag heißen kann.

ZAVET: Doch auch. Meine Songs sind auch manchmal so etwas wie ein Ratschlag. Aber zuerst war da wie gesagt die Ableitung aus meinem ganzen Namen. Ich bin ja in Sibirien geboren und als wir nach Deutschland gekommen sind, mussten wir all unsere Namen eindeutschen und da wurde aus meinem Namen – Elizaveta – Elisabeth. Mit meinem Künstlernamen habe ich mir den Namen sozusagen zurückgeholt.

osTraum: Sibirien als deine Geburtsregion ist sehr präsent in deinen Lyrics, sowohl direkt („Komm aus Sibirien, Das Herz liegt im Eisfach“) als auch durch diverse Anspielungen („-30 Grad“, „Geboren in der Kälte“, „Husky-Augen“, „Eis ist meiner DNA“). Wie alt warst du, als du nach Deutschland gekommen bist? Was sind deine Erinnerungen an Sibirien?

ZAVET: Ich war sehr jung, ich war zwei Jahre alt. Von Erinnerungen kann ich also nicht wirklich sprechen, aber ich habe ein paar Familienfotos aus meiner Kindheit. Die Kultur, die wir aus Sibirien mitgebracht haben, hat mich damals als Kind sowie auch heute geprägt. Leider waren wir seither nicht mehr dort, eher besuchen uns meine Verwandten hier in Deutschland. Meine ganze Verwandtschaft väterlicherseits lebt nämlich noch dort. Sogar unser altes Haus steht noch da. In meinem Musikvideo zu „Husky Augen“ haben wir sogar Originalaufnahmen davon mit reingeschnitten.  

osTraum: Kann ich gut verstehen. Meine Mutter ist ja auch Wolgadeutsche, geboren in Sibirien, in Omsk, und sie war jetzt bestimmt auch schon 20 Jahre nicht mehr in ihrem Heimatdorf, wo sie geboren wurde.

ZAVET: Aber auch, weil sie nicht mehr so einen guten Bezug dazu hat?

osTraum: Ja, aus diversen Gründen, aber auch deshalb. Es soll ja im Interview allerdings um dich gehen😊 Woher genau kommt deine Familie? Sibirien ist ja groß.

ZAVET: Ich wurde in Alexandrowskoje geboren, das ist ein Dorf im Gebiet Tomsk in Sibirien.

osTraum: Und ihr seid dann direkt nach Ansbach in Bayern gekommen?

ZAVET: Nein, so einfach war das leider nicht. Wir wurden erst von Stadt zu Stadt geschickt und in „Aufnahmeeinrichtungen“ untergebracht, bis wir dann irgendwann in Ansbach gelandet sind.

osTraum: Dann bist also in Ansbach aufgewachsen?

ZAVET: Ja, genau, in einem kleinen Ort bei Ansbach.

osTraum: Wie war es für dich? Gab es große Unterschiede zu der Welt zu Hause und draußen – in der Schule, auf der Straße u.s.w.?

ZAVET: Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich anfangs nur Russisch verstehen konnte. Da ich aber noch sehr klein war, konnte ich in kurzer Zeit zu Deutsch switchen. Zuhause war es dann noch eher eine Kultur, die von Russland geprägt ist und draußen eben die bayerische Kultur. Nach und nach hat es sich dann vermischt. Ich fühle beides, vor allem, weil ich ja auch in Bayern aufgewachsen bin.

Eine Situation, an die ich mich aber bis heute noch erinnere:

Es gab mal in der Grundschule die Situation, dass wir für irgendeine Feier Essen mitbringen mussten – was wir halt zu Hause so essen – und ich habe Pelmeni mitgebracht. Da wurde ich dann schon schief angeguckt. Was ist das denn?!

Foto: Calogero Cimino

osTraum: Ein anderes Thema aus der Kindheit: Traumberuf. Wolltest du bereits als Kind Musikerin werden?

ZAVET: Tatsächlich hat der Wunsch schon immer in mir geschlummert. Das Thema Musik war schon immer wichtig in unserer Familie. Ich war bereits ab meinem vierten Lebensjahr in der musikalischen Früherziehung. Da habe ich dann so die Basics gelernt und später habe ich dann weiter gemacht mit Klavier und Gesangsunterricht.

osTraum: Du wolltest also von klein an Musikerin werden?

ZAVET: Ja, ich wollte schon immer Musik machen, bin aber erstmal in einem nine-to-five Bürojob gelandet, bevor ich zur Musik kam. Ich habe auch einen Song darüber geschrieben und rausgebracht. „Harley Quinn“ heißt er und im Musikvideo verwüste ich ein ganzes Büro haha, war ziemlich funny. Für meine Eltern war es wichtig, dass ich erstmal eine Ausbildung mache. Sie haben in Sibirien alles, was sie hatten, hinter sich gelassen, damit wir hier ankommen und uns etwas aufbauen können. Also habe ich die Ausbildung abgeschlossen, was ich auch nicht bereue. Am Anfang waren sie also nicht wirklich begeistert, aber ich habe es durchgezogen und habe Musik zu meinem Beruf gemacht.

osTraum: Es war 2017? Da hast du professionell mit Musik angefangen?

ZAVET: Ich war 2017 an dem Punkt, an dem ich angefangen habe, sehr intensiv an meiner Musik zu arbeiten. Ich habe angefangen eigene Songs zu schreiben, war im Studio und hab diese aufgenommen. Die Sachen habe ich dann zuerst auf YouTube und irgendwann auch auf Social Media hochgeladen. Bis ich dann offiziell etwas veröffentlicht habe, hat es noch gedauert. 2021 habe ich mich dann ready gefühlt und habe meinen ersten Song „Keine Millionen“ im Oktober 2021 rausgebracht.

osTraum: Und dann hast du es 2023 geschafft – also einen Vertrag mit Warner Music unterschrieben? Wie kam es dazu?

ZAVET: Über ein anderes Projekt ist mein heutiger A&R [Artists and Repertoire Manager (Anm. d. Red.)] auf mich aufmerksam geworden und hat gefragt, ob ich ihm denn nicht paar Songs von mir schicken könnte. Die Songs wurden dann bei Warner vorgespielt und am gleichen Tag noch bekam ich die Rückmeldung, dass sie mir gerne ein Angebot machen möchten.

Foto: Calogero Cimino

osTraum: Kannst du dich an den ersten Moment erinnern, wo du ganz bewusst Musik wahrgenommen hast und dir gedacht hast „Das ist krass!”?

ZAVET: Ich habe zwei ältere Geschwister und die sind komplett in den 1990-ern groß geworden. Also Künstler wie Usher, Britney Spears, Ciara und andere Leute, die in der Zeit auf MTV und Viva liefen, habe ich mitbekommen und das hat mich immer total begeistert und geflashed. 

osTraum: Es gibt im Deutschrap mittlerweile ja einige Größen, die auch ostslawischen, also belarusischen, russischen, ukrainischen Migrationsvordergrund haben – Capi, Olexesh, Antifuchs und viele andere. Gab es Musiker*innen, die dich da beeinflusst haben?

ZAVET: Nicht bewusst. Dass ich darüber singe und rappe, kam aus meinem Gefühl heraus. Ich verarbeite meine eigenen Erfahrungen in meiner Musik, weil es für mich lange ein Thema war, mit dem ich mich nicht beschäftigt habe. Erst im Erwachsenenalter habe ich gemerkt, dass ich eigentlich wissen will, wo genau ich geboren wurde und was meine Familiengeschichte ist.

osTraum: Dass es aber Musiker*innen mit ähnlichen Roots gibt, bestärkt dich darin, was du machst?

ZAVET: Ja, auf jeden Fall. Ich finde es generell mega, wenn Musiker*innen und Menschen zu ihren Wurzeln stehen und sie representen.

osTraum: Was Olexesh betrifft, so hast du ja das Lied „Husky Augen“ und Olexesh hat das Lied „Augen Husky“. Klar, die Musik und die Lyrics sind ganz unterschiedlich, aber trotzdem, ist es Zufall mit dem Titel oder Absicht, oder eine Hommage?

ZAVET: Ich feier Olexesh, aber die beiden Songs stehen in keinem Zusammenhang. Bei meinem Song „Husky Augen“ erzähle ich eher meine eigene Story und wie wir mit einem Koffer von Sibirien nach Deutschland kamen. Da wir damals selber mehrere Huskys hatten, habe ich den Husky dann als Referenz genommen.

osTraum: Auf Spotify ist ja aktuell dein populärstes Lied „In my mind (…sind wir perfekt)“ mit knapp 1,5 Mio. Streams. Wie kam es zu dem musikalischen Zitat des litauischen DJs Edvinas Pechovskis, besser bekannt als Dynoro, der ja die Originalmusik komponiert hat und in deinem Lied als Sample benutzt wird? Gibt es dazu eine Story?

ZAVET: Der Song war ursprünglich gar nicht als ganzer Song oder zur Veröffentlichung gedacht. Fewtile hat mir den Beat geschickt und ich hatte einfach nur Bock einen Part darauf, für Social Media zu schreiben. Als ich dann das 20 Sekunden Snippet hochgeladen hab, ist das Video viral gegangen. Wir waren dann irgendwann bei 2 Millionen Views und die Leute haben meine DMs gesprengt. Also haben wir den Song fertig gemacht. Da wir ein Sample benutzt haben, mussten wir vorher noch alles Rechtliche klären und haben dann letztlich zum Glück die Erlaubnis bekommen und konnten den Song offiziell veröffentlichen.

osTraum: Zurück zu deinen Texten: Sibirien, Kälte, Eis, Winter sind ja oft Leitmotive deiner Lyrics. Es könnte der Eindruck entstehen, du bist irgendwie ein kalter und distanzierter Mensch, doch du bringst die Themen ganz warm rüber. Möchtest du damit vielleicht auch Stereotype über Sibirien abbauen? In deutscher Gesellschaft sind es ja zwei traumatische Narrative – Stalingrad und Sibirien. Möchtest du der Region ein neues Bild geben? Ich meine, dass sie die wunderschöne Natur hat und auch einen richtigen Sommer mit +40 Grad! Meine Mutter kommt aus Omsk. Ich selbst bin als Kind oft in Omsk gewesen. Also möchtest du auch irgendwie den Stereotypen entgegenwirken?

ZAVET: Ich würde mich selbst nicht als gefühlskalten Menschen beschreiben, sondern als genau das Gegenteil. Aber ich glaube auch, dass mein Background mich abgehärtet hat. Man entwickelt irgendwann eine harte Schale und deswegen der Bezug zu Kälte und Eis in meinen Lyrics. Außerdem spiele ich mit den klassischen Bildern, die einem in den Kopf schießen, wenn man jmd. erzählt, dass man aus Sibirien kommt.

osTraum: Noch eine Frage zu Sibirien: Seit einiger Zeit erlebt die eigentliche sibirische Bevölkerung eine Wiedergeburt, auch kulturell. Es gibt nun Rapper*innen und Musiker*innen, die in Ihrer Muttersprache singen und rappen – Jakutisch, Burjatisch, Tuwinisch und viele andere sibirische Kulturen. Damit setzen sie sich auch dem jahrhundertelangen russischem Kolonialismus entgegen, weil sie ja oft unter Zwang russifiziert wurden. Hat auch deine russlanddeutsche Familie so was erlebt?

ZAVET: Da bin ich nicht so bewandert, aber ich finde es extrem interessant, wie viele verschiedene Kulturen und Sprachen es in Sibirien eigentlich gibt. Meine Familie ist auch nicht ganz freiwillig in Sibirien gelandet. Meine Urgroßeltern wurden während der Kriegszeit nach Sibirien zwangsumgesiedelt.

Foto: Calogero Cimino

osTraum: Könntest du dir vorstellen auf Russisch zu rappen oder zu singen? Vielleicht auch einzelne Wörter oder Sätze auf Russisch?

ZAVET: Auf jeden Fall. Ganze Songs vielleicht nicht, aber vereinzelte Wörter und Sätze. Da schlummert auch schon die ein oder andere Demo in meiner Dropbox^^

osTraum: Bei vielen Rapper*innen ist es ja voll präsent mit Bratans, Bratuchas und so weiter.

ZAVET: Mega funny, dass du das ansprichst. Wird nämlich höchste Zeit für uns Bratinas, Sestras & Gopnica!

osTraum: Ich frage auch deshalb, weil ich eigentlich Sprachwissenschaftler bin und solche neuen Wörter, wie Bra, Bratan und so weiter im Deutschrap erforsche.

ZAVET: Hast du nicht mal einen Podcast gemacht?

osTraum: Ja, ich war mal als Sprachwissenschaftler mit dem Thema des Russischen im Deutschrap beim X3-Podcast.

ZAVET: Ahh, ich habe die Folge gehört! Richtig nice!

osTraum: Welche Musiker*innen würdest du unseren Leser*innen empfehlen?

ZAVET: Ich finde Rosalia sehr spannend. Sie vermischt Flamenco mit aktueller Musik und ihre Performances sind eine 11/10.


osTraum: Hast du vielleicht noch etwas, was du unseren Leser*innen mitteilen möchtest?

ZAVET: Gerne! Hallo an alle osTraum Leser*innen. Wenn ihr Lust habt, hört gerne in mein vor kurzem veröffentlichtes Mixtape „Husky Augen“ rein. Außerdem gehe ich im Oktober auf Tour und lade euch alle herzlich ein. Tickets gibt es bereits über Eventim – ich freue mich auf euch <3

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Titelfoto: Calogero Cimino (Instagram)

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