Die 7 Frauen der ukrainischen Kultur

Die herausragende Bedeutung von Frauen in der lebendigen Kulturlandschaft der Ukraine ist nicht zu übersehen. Gerade in Zeiten des kulturellen Widerstands gegen den Angreifer Russland erheben sich zahlreiche talentierte Stimmen, die einen unverzichtbaren Beitrag zur Bewahrung der ukrainischen Identität leisten. Alyona Alyona und Jerry Heil sind nicht nur bekannte Musikerinnen, sondern ebenfalls Autorinnen viraler Hits, darunter auch Antikriegslieder, die die Herzen der Menschen erreichen. Oder auch Regisseurinnen wie Nadia Parfan und Ganna Yarosewytsch erschaffen eindrucksvolle Filme, die Meilensteine in der ukrainischen Filmgeschichte markieren. Auch ein Blick in die Vergangenheit zeigt uns, dass die heutige florierende ukrainische Kultur ohne das Wirken herausragender Frauen undenkbar wäre. In einer Hommage an diese kulturellen Wegbereiterinnen präsentiert osTraum die sieben bedeutendsten Frauen der ukrainischen Kulturgeschichte.

7. Oksana Zabuzhko (geb. 1960)

Oksana Zabuzhko ist eine zeitgenössische Schriftstellerin, Essayistin, Dichterin, Übersetzerin, Feministin, politische Aktivistin und Literaturwissenschaftlerin. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen der modernen ukrainischen Literatur in der Ukraine selbst und darüber hinaus, denn ihre Werke wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Sie widmet sich solchen Themen wie die ukrainische Identität, Politik und Gender. Als Preisträgerin nationaler und ausländischer Auszeichnungen, des Fulbright-Stipendiums sowie als Ukrainistik-Dozentin an den Universitäten Harvard und Pittsburgh trägt sie wesentlich zur Popularisierung der Ukraine und ukrainischer Kultur auf internationaler Ebene.

Die Berufung in der Literatur- und Kulturwelt kam aus der Familie – ihre Mutter Nadija war Didaktikerin und Lehrerin für Literatur, ihr Vater Stefan war Literaturkritiker und Übersetzer, der im Rahmen politischer Repressionen unter Stalin nach Sibirien verbannt wurde. Beide Eltern gehörten zu der Bewegung der Schistdesjatnyky, die sich gegen den offiziellen Dogmatismus und die angebliche Freiheit des kreativen Ausdrucks und für den kulturellen Pluralismus sowie für universelle Menschenrechte eingesetzt haben.

6. Maria Prymachenko (1908–1997)

Als darstellende Künstlerin im Genre der Folklore und der Naiven Kunst erschuf Maria Prymatschenko farbenfrohe, amüsante und zum Teil skurrile Gemälde, Wandmalereien und Figuren. Ihre Inspirationsquelle waren die motivreichen Wandmalereien in ihrem Heim und die Lieder, die ihre Mutter gesungen hat. Prymachenkos Werk vereinte in sich die Vielfalt der ukrainischen Volkskunst, die jahrhundertelang ihren Ausdruck in verschiedenen Handwerksbereichen fand, z. B. in der Schmiede- und Backkunst, in der Weberei und Holzschnitzerei. Da die Arbeiten traditionelle Motive enthalten und in Galerien auf der ganzen Welt ausgestellt wurden, gilt ihr Gesamtwerk als eins der zentralen Symbole der ukrainischen Folklore-Kultur. Insgesamt hat sie mehr als 800 Werke erschaffen. Sie wurde geboren und lebte ihr ganzes Leben lang im Dorf Bolotnja im Kyjiwer Gebiet.

Pablo Picasso soll 1937 nach dem Besuch einer Prymachenko-Ausstellung auf der Weltausstellung in Paris gesagt haben: „Ich verneige mich vor dem künstlerischen Wunder dieser brillanten Ukrainerin.“ Die UNESCO erklärte 2009 zum Jahr von Maria Prymachenko. Im Februar 2022 beschossen russländische Truppen das Dorf Bolotnja (Iwankiw) in der Region Kyjiw – dabei wurde das örtliche Museum zerstört, in dem ihre Werke aufbewahrt und ausgestellt wurden. Die Anwohner*innen retteten jedoch im letzten Augenblick die Gemälde aus dem Feuer. Auf Kunstauktionen werden ihre Werke heute für Hunderttausende Dollar verkauft. Nach der Rettung aus dem Feuer russländischer Truppen sind viele ihrer Werke zum Symbol des Kampfes für den Frieden in Ukraine geworden.

5. Solomiya Kruschelnyts’ka (1872-1952)

Geboren wurde die zukünftige Opernsängerin 1872 in einem Dorf zwischen Ternopil und Iwano-Frankiwsk in der Familie des griechisch-katholischen Priesters Amvrosii Kruschelnytskyi und seiner Frau Teodora Maria. In Ternopil trat sie als 11-Jährige zum ersten Mal in der Oper auf und begann ihr Musikstudium in L’viv mit 19. Zu ihren Lebzeiten galt sie als eine der besten Opernsängerinnen der Welt. Zu ihren zahlreichen Auszeichnungen und Ehrungen zählt unter anderem der Titel Primadonna assoluta des zeitgenössischen Wagner-Gesangs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts; ein Titel, der auch als Die Beste der Besten übersetzt werden kann.

Als die Westukraine 1939 im Rahmen des Hitler-Stalin-Pakts an die UdSSR fiel, wurde Solomiya Kruschelnyts’ka fast vollständig enteignet. Die sowjetische Regierung ließ sie jedoch zusammen mit ihrer Schwester Hanna in einer Vierzimmerwohnung wohnen. Während der deutschen Besatzung L’vivs hat sie privaten Gesangsunterricht gegeben, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Nach 1945 arbeitete sie am L’viver Staatskonservatorium, wo ihr bald nach dem Beginn ihrer Lehrtätigkeit im Rahmen der sowjetischen „Personalsäuberung von nationalistischen Elementen“ vorgeworfen wurde, keinen Hochschulabschluss zu besitzen. Später wurde ihr Diplom jedoch in den Beständen des Historischen Museums der Stadt gefunden. Lange blieb ihr auch als italienischer Staatsbürgerin die sowjetische Staatsbürgerschaft, gleichzeitig aber auch die Ausreise nach Italien, verwehrt. Nachdem sie schließlich eine Erklärung über die Übertragung ihrer italienischen Villa und ihres gesamten Eigentums an den Sowjetstaat unterschrieben hat, wurde sie Staatsbürgerin der UdSSR. Die Villa wurde sofort verkauft, wobei der neue Eigentümer sie mit einer kleinen Summe entschädigte. 1952, kurz vor ihrem Tod, erhielt sie schließlich den Professorinnentitel.

4. Olha Kobylians’ka (1863–1942)

Olha Kobylians’ka (1863–1942) – eine Romanautorin, Essayistin, Übersetzerin und eine enge Freundin der ukrainischen Nationaldichterin Lesja Ukrajinka. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war sie eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der ukrainischen Literatur. Ihre Arbeiten beschäftigten sich häufig mit sozialer Ungerechtigkeit.

Aus heutiger Sicht ist ihre pro-russische Haltung problematisch: Im Jahr 1894 war sie eine der Schlüsselpersonen bei der Gründung der „Gesellschaft russischer Frauen in der Bukowina“, doch bereits 1902 war sie Mitbegründerin und Leiterin des „Kreises ukrainischer Mädchen“ in Tscherniwzi. Kobylians’ka muss dabei auch sprachlich breiter verortet werden, denn sie wurde von rumänisch- und deutschsprachiger Literatur beeinflusst und schrieb selbst neben Ukrainisch, auch auf Deutsch: Hortense, oder Ein Bild aus einem Mädchenleben (1880), Schicksal oder Wille (1883), Ein Lebensbild aus der Bukowina (1885) und Sie hat geheiratet (1887). Insgesamt war Kobylians’ka eine hochbegabte Persönlichkeit, die mit vier Klassen Schulbildung über 60 Werke verfasst hat, in denen die Familiensklaverei und die soziale Sklaverei der Frau zu einem oft anzutreffenden Gegenstand wurden.

3. Marusja Tschuraj (evtl. 1625-1653)

Tschuraj hat den Status einer Legende in der ukrainischen Folklore und Literatur inne. Bekannt ist sie vor allem als Dichterin, Sängerin und Komponistin. Über sie als historische Persönlichkeit gibt es lediglich nur Bruchstücke an nachgewiesener Information, was ihrem Leben etwas Mysteriöses verleiht. Sie kam auf die Welt in Poltawa in der Familie des Kosakensotniks Gordyj, einem der Anführer des antipolnischen Aufstands. Ihr wird unter anderem die Autorinnenschaft der Lieder Oi ne chody, Hrytsiu, Kotylysia vozy z hory und Zasvystaly kozachenky zugeschrieben. Marusja Tschuraj wird in vielen traditionellen Liedern und Geschichten gefeiert und oft als Symbol nationaler Identität und Stolz gesehen. Das erste Lied soll Franz Liszt zu seinem Stück Ballade d’Ukraine inspiriert haben.

Sie soll vier Jahre lang auf ihren Geliebten gewartet haben, der am Chmelnyzkyj-Aufstand gegen Polen-Litauen teilgenommen hat. Womöglich ist sie mit nur 28 Jahren als Nonne in einem ukrainisch-orthodoxen Kloster an dem seelischen Leiden gestorben, das sie nach dem Tod ihres Geliebten erlitten hat.

2. Hanna Barvinok (1828-1911)

Das Hanna Barvinok Denkmal vor dem Geschichts- und Gedenkmuseum in Borzna (Ukraine).

Die Autorin, Journalistin und Aktivistin setzte sich stark für Frauenrechte und Gleichberechtigung ein. Sie war eine Pionierin der ukrainischen Frauenbewegung und half beim Aufbau mehrerer Organisationen, die sich der Förderung der Bildung und des sozialen Wohlergehens von Frauen widmeten. Anna Barvinoks Werke handeln dabei vor allem von familiären und häuslichen Missständen, die eine Frau erlebt. Dadurch wurde Barvinok zu einer der prominentesten Stimmen im Kampf gegen Unterdrückung und Misshandlung von Frauen. In ihren wegweisenden Werken wie Das Böse im Heim (Chatne lycho) (1861), Frauenelend (Zhinotschne biduvannja) (1887) und Vaters Fehler (Bat’kova pomylka) (1902) enthüllte sie das traurige Dasein, das viele Frauen in dieser Zeit mit alkoholabhängigen Ehemännern oder durch Zwangsheirat erlebten. Jedoch erschuf Barvinok auch Figuren von einem bemerkenswerten Willen, wie in Ich habe gewonnen (Peremogla) (1887) und Junger Kampf (Molodytscha borot’ba) (1902). Die Hauptcharaktere verkörpern den Geist und die Entschlossenheit von Frauen, die sich gegen Beschränkungen auflehnten.

Barvinoks Geschichten waren nicht nur inhaltlich ansprechend, sondern auch sprachlich herausragend. Ihr Schreibstil ist farbenfroh und einfallsreich, durchsetzt mit lebhaften Sprichwörtern und der Umgangssprache dieser Zeit sowie der Tschernihiw- und Poltawa-Dialekte. Doch ihr größter literarischer Triumph war zweifellos das unveröffentlichte Drama „Mutters Rache“, in dem sie die bittere Realität der unterdrückten Frauen thematisierte. 1887 erlangten zwei Kurzgeschichten von Hanna Barvinok, veröffentlicht in „Der erste Kranz“, dem ersten feministischen Almanach der Ukraine, große Aufmerksamkeit. Der Almanach wurde von Natalia Kobrynska und Olena Ptschilka (Mutter von Lesja Ukrajinka) in L’viv herausgegeben. In Kyjiw und L’viv wurden Straßen nach ihr benannt.

1. Lesja Ukrajinka (1871-1913)

Lesja Ukrajinka Gedenktafel in der Johannisstraße 11 in Berlin-Mitte

Lesja Ukrajinka war Schriftstellerin, Übersetzerin, Dichterin, Kulturaktivistin sowie Mitbegründerin des Literaturkreises „Plejada“ und der Gruppe Ukrainischer Sozialdemokrat*innen. Bürgerlich Larysa Kosač (nach ihrer Heirat: Kosač-Kvitka) wurde unter ihrem Künstlerinnennamen Lesja Ukrajinka nicht „nur“ bekannt, sondern zu der berühmtesten Frau in der ukrainischen Kulturgeschichte. Sie war ein Universaltalent und schrieb Poesie, Drama, Prosa sowie journalistische Texte, entwickelte das Genre des dramatischen Gedichts in der ukrainischen Literatur. Sie arbeitete intensiv im Bereich der Folkloristik (sie konnte rund 220 Volkslieder auswendig) und beteiligte sich aktiv an der ukrainischen Frauenbewegung, der nationalen Wiedergeburt und der Emanzipation von Russland. Geboren in Wolhynien, verstarb sie mit nur 42 Jahren an Tuberkulose während einer Kur im georgischen Surami.

Wer nach deutschen oder englischen Übersetzungen von Lesja Ukrajinka sucht, wird feststellen, dass es gar nicht so viel gibt, was für die Literaturlandschaft in deutschsprachigen Ländern ein enormes Defizit ist. Nichtsdestotrotz gibt es einige Veröffentlichungen von ihren Werken auf Deutsch, und osTraum hat sich für euch auf die Suche begeben. Hier sind die Ergebnisse:

Kassandra (2007)
Übersetzt von Irena Katschaniuk-Spiech & herausgegeben von Ludger Udolph
Thelem Verlag Dresden


The Song of the Forest (2022)
Übersetzt von Patrick John Corness
University of Alberta Press Edmonton (Kanada)


Mein Weg (2023)
von Irena Katschaniuk-Spiech, Ludger Udolph & Alexander Wöll
Thelem Verlag Dresden


sowie über Lesja Ukrajinka:

Das geistige Erbe von Lesja Ukrajinka (2021)
von Irena Katschaniuk-Spiech
Books on Demand


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Bildnachweise:
7) Oksana Zabuzhko: This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license. Ben Skála at Wikimedia.
6) Maria Prymachenko: Цей файл ліцензований на умовах Creative Commons Із зазначенням автора – Розповсюдження на тих самих умовах 4.0 Міжнародна. Ірина Бучнєва на Wikimedia.
5) Solomiya Kruschelnyts’ka: Цей файл ліцензований на умовах Creative Commons Із зазначенням автора – Розповсюдження на тих самих умовах 4.0 Міжнародна. СЕРП75ДНІПРО на Wikimedia.
4) Olha Kobylians’ka: На цьому зображенні — обкладинка книги. Найімовірніше, авторськими правами на обкладинку володіє її видавець або художник, який створив обкладинку. Допускається для ілюстрування статті про цей друкований твір використання зображення низького розділення на сторінках Вікіпедії українською мовою, розташованої на серверах в США. Використання таких зображень може бути кваліфіковане як добропорядне (Fair use) відповідно до закону про авторське право США. Видавництво Старого Лева / Іван Шкоропад на Wikimedia.
2) Hanna Barvinok: This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license. Pavlo1 on Wikimedia.
1) Lesja Ukrajinka: This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported2.5 Generic2.0 Generic and 1.0 Generic license. OTFW, Berlin bei Wikimedia.



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