Das osTraum Journal thematisierte seinen Namen bereits in mehreren Beiträgen. Eine von vielen Interpretationen kann lediglich irreführen und auf ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte zurückführen. In den fast sieben Jahren seit unserer Gründung wurden wir zwar nur ein paar Mal darauf angesprochen, doch umso wichtiger ist es für uns, über diesen Umstand zu reflektieren und die Gedanken mit euch zu teilen.
Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand auf den deutschsprachigen Gebieten und insbesondere im Deutschen Kaiserreich die Vorstellung von einem “Lebensraum im Osten”. Die Anhänger*innen der rassistisch-nationalistischen Ideologie gingen davon aus, dass die Menschen, die sich als Deutsche identifizieren, einen Anspruch auf Territorien haben, die östlich der Oder liegen. Ganz konkret ging es um polnische, tschechische, slowakische und später im 20. Jahrhundert um sowjetische Gebiete. Aus dem “Lebensraum im Osten” wurde der “Drang nach Osten”, der nach der Verwirklichung dieser Vorstellung strebte. Verkürzt wurde dann auch einfach vom “Ostraum” gesprochen, wörtlich also der “Raum im Osten”. Ganz kurz dargestellt, muss in diesem Kontext festgehalten werden, dass dieser “Ostraum” als ein nahezu kulturleerer Raum angesehen wurde. Auch wenn es auf den Gebieten seit über 1.000 Jahren viele nicht-deutsche bzw. nicht-germanische Königreiche, Fürstentümer und Staaten gegeben hat, in denen sich auch unterschiedliche Kulturen entwickelt haben, waren es für die Ideologie des Ostraums Kulturen, die nicht unbedingt weiterhin existieren müssen. Es waren Kulturen und Menschen, die es entweder zu assimilieren oder zu vernichten galt, um auf diesen Gebieten die “deutsche Kultur” zu situieren, was darunter auch immer genau gemeint sein mag.
Dabei sollte natürlich nicht unter den Tisch fallen, dass die Durchsetzung von einigen politischen Zielen im Russischen Zarenreich und in der Sowjetunion nach einem ähnlichen Muster, wie im Deutschen Kaiserreich und im nationalsozialistischen Deutschland, funktioniert hat und teilweise heute noch in Russland funktioniert. Dieser kolonialen Politik nach gibt es Territorien, die nicht nur in Besitz genommen werden müssen, sondern es wird der einheimischen Bevölkerung oft das Recht auf eine eigene Kultur, Sprache, Religion etc. abgesprochen. Es kann so weit gehen, dass die einheimische Bevölkerung entweder assimiliert oder systematisch vernichtet wird, um die Gebiete mit “neuen Menschen” zu besiedeln.
Das osTraum Journal wurde 2016 gegründet, weil wir gesehen haben, dass es oft ein Defizit an Berichterstattung über die Kulturen aus Ost-, Mittel-, Südosteuropa, dem Baltikum, Kaukasus und Zentralasien gab. Es wurde oft über Kulturereignisse, -räume und -träume berichtet, wenn diese in Verbindung mit Konflikten, Verhaftungen oder dem Exil gebracht werden konnten. Viele der Regionen schienen so als kulturleere Räume in Vergessenheit zu geraten. Der osTraum (mit dem großen “T” und dem kleinen “o”) ist für uns nicht nur ein Wortspiel zwischen Ost, Raum und Traum. Es ist für den aktuellen Stand deutschsprachiger Medien eine passendere Bezeichnung für unsere Fokusregionen, die oftmals als das sog. “Osteuropa”, der “Osten” oder früher eben als der “Ostraum” pauschalisiert und stigmatisiert werden. Dabei geht es uns nicht um starre Definitionen oder die Suche nach der Trennlinie zwischen Ost und West. Wir gehen von einem fluiden geokulturellen Miteinander aus und suchen nach den kulturellen (os)Träumen in den besagten Räumen, die vielleicht vergessen wurden oder nie die Chance erhalten haben, entdeckt zu werden. Diese Träume sind für uns Filme und fotografische Kunstwerke, Architektur und Essenskultur, Literatur und die darstellenden Künste, Musik und Street Culture.
Mit diesen Worten sei es hier festgehalten: Das osTraum Journal hat nichts mit dem nationalsozialistischen Begriff “Ostraum” zu tun. Die Überschneidung lautlicher Realisierung soll aber auch dazu dienen, dass der “Ostraum” aus den Köpfen der Menschen verschwindet und stattdessen ein vielseitiges Verständnis von dem kulturreichen osTraum einsetzt – einem osTraum, in dem geträumt wird und in dem kulturelle Vorstellungen und Ereignisse gleichzeitig ihre Regionalität behalten und ein Teil der europäischen und globalen Kulturlandschaft werden.
Da wir feste geografische Kulturgrenzen ablehnen, suchen und finden wir immer wieder nach Merkmalen des osTraums auch in Regionen außerhalb vom sog. “Osteuropa”. So war in unserem Journal 2021 das thematische Jahr der neuen Bundesländer bzw. der ehemaligen DDR. Durch unsere Publikationen zeigten wir auf, dass die Grenze zwischen Ost und West sicherlich nicht an der Oder entlang verläuft. Seit 2022 liebäugeln wir mit dem Westen und Südwesten Deutschlands sowie mit Frankreich. Beiträge dazu sind noch in Planung.
Mit osTraum wollen wir nicht nur vielen Kulturerscheinungen eine Bühne geben, sondern eine Faszination für Neues wecken. Wer Deutschrap mag, soll auch etwas über Literatur erfahren und auch umgekehrt. Wer gern nach Kroatien reist, soll es wissen – Litauen hat auch wunderschöne Ecken, die es zu entdecken gilt. Wer nicht weiß, dass Kim Kardashian und System of a Down US-Armenier*innen sind, soll es endlich wissen und sich fragen, warum ihre Eltern oder Großeltern das kaukasische Land verlassen haben. So versuchen wir mehr osTraum unter die Menschen zu bringen und ihr – unsere Leser*innen – sind uns dabei die beste Unterstützung. Ihr könnt uns übrigens auch bei Patreon unterstützen, die Webseitengebühren zahlen sich bekanntlich nicht von alleine.
Weitere Infos zum Thema “Ostraum” findet ihr in diesem Artikel von der Bundeszentrale für politische Bildung.
osTraum ist werbe- & kostenfrei für alle!
Damit es so bleibt, unterstütze uns mit nur einem Kaffee auf >>>Patreon<<<
osTraum auf Facebook
osTraum auf Instagram
osTraum auf Telegram