Kamila Rustambekova war mit ihrem Kurzfilm „TALE“ eine der nominierten Kandidat:innen im Rhein-Main Kurzfilmwettbewerb 2023 im Rahmen des goEast Filmfestivals in Wiesbaden. „TALE“ erzählt von einer verbotenen Zuneigung zweier junger Männer, die in dem ländlichen Raum nicht toleriert wird und dem Versuch des Ausbruchs aus diesen repressiven Sphären. Neben ihrer Tätigkeit als Film Director ist Kamila auch Fotografin. Ihre Fotografien bieten einen aufschlussreichen Einblick in das heutige Usbekistan. Sie erforschen fesselnde Erzählungen rund um die queere Community, das Recht auf Freiheit und Selbstdarstellung, sowie die Dynamik von Saisonarbeit und Baumwollernte. Jedes Bild ist eine Darstellung dieser nuancierten Themen und beleuchtet ihre Feinheiten und ihre Rolle bei der Gestaltung der komplexen Kultur des Landes. Ihre Fotografien wurden u.a. beim einflussreichen britischen i-D-Magazine gefeatured. Kamila lebt in Taschkent in Usbekistan. Für osTraum hat Kamila einige Fragen beantwortet und gibt uns Einblick in ihr künstlerisches Schaffen.
osTraum: Kamila, du bist Fotografin und Filmregisseurin. Wie und wann hast du den Weg eingeschlagen, dich als Künstlerin zu etablieren? Woher kommt deine Inspiration, Kunst zu schaffen? Und welche Rolle spielt die usbekische Kultur in deiner Arbeit?
Kamila: Kurz gesagt, ich interessiere mich seit der Schule für Fotografie, habe ein Wirtschaftsstudium absolviert, aber nach dem Abschluss den Weg einer unabhängigen Künstlerin gewählt. Im Jahr 2022 begann ich, mich mit dem Filmemachen zu beschäftigen. Wenn es um die usbekische Kultur geht, ist es schwierig, eine eindeutige Antwort zu geben, weil ich mein ganzes Leben hier gelebt habe und sie meine Realität ist. Es fällt mir schwer zu definieren, was genau die usbekische Kultur ist, denn unsere Kultur ist eine Mischung aus türkischer, persischer und sowjetischer Kultur sowie Einflüssen aus der westlichen Welt.
Auch was die Sprache angeht – Usbekisch, Russisch und Tadschikisch werden in Usbekistan gesprochen. Natürlich haben wir nationale Musikinstrumente und Kleidung, aber wir tragen sie nicht die ganze Zeit und essen nicht nur Pilaw. Ich halte nichts von Orientalismus und einer vereinfachten Sicht auf Usbekistan und seine Kultur, denn unsere Realität ist viel komplexer als westliche Stereotypen. Meine Kultur hat meine Arbeit nicht beeinflusst, sondern definiert sie.

„Meine Kultur hat meine Arbeit nicht beeinflusst, sondern definiert sie.“
Kamila Rustambekova
osTraum: Beginnen wir mit deiner Arbeit als Regisseurin. In „TALE“ porträtierst du die Beziehung zweier junger Männer in einer ländlichen Gegend, in der gleichgeschlechtliche Liebe nicht toleriert wird. Du zeigst nicht die Gesichter der jungen Männer, aber wir spüren trotzdem eine intime Verbindung. Es ist sehr sinnlich, ohne sexuell zu sein. Möchtest du etwas über den künstlerischen Prozess sagen, bei dem du es schaffst, Sinnlichkeit zu vermitteln, ohne dass diese explizit wird?
Kamila: Eine zarte, “sanfte” und ruhige Herangehensweise ist in meiner Arbeit wichtig – sie ist meine künstlerische Sprache. In dem Film „TALE“ habe ich versucht, ein wichtiges, ergreifendes und heißes Thema anzusprechen und dabei den ruhigen, aber starken Charakter des Films zu bewahren. Ich denke auch, dass meine künstlerische Sprache von der Realität geprägt ist, in der ich lebe und in der es keine Kultur der Kundgebungen, Aufmärsche und lauten Deklarationen von Wünschen und Bedürfnissen gibt. In diesem Zusammenhang habe ich versucht, Sinnlichkeit und Intimität zu vermitteln, ohne explizit zu sein, um meinem kreativen Ansatz und den Besonderheiten des kulturellen Umfelds, in dem ich arbeite, treu zu bleiben.
osTraum: In deiner Fotografie liegt der Schwerpunkt oftmals auf Körpern, die arbeiten (arbeitende Körper) und auf Nacktheit (Körper, die schlichtweg existieren). Was bedeutet es für dich, einen Körper zu besitzen, und was bedeutet es im Speziellen, in Usbekistan einen Körper zu besitzen?
Kamila: Das Thema Körper nimmt in meiner Arbeit einen wichtigen Platz ein, da es für mich und, ich denke, auch für andere Frauen in Usbekistan sehr persönlich ist. Es ist hier nicht üblich, über den Körper, Sex und Sexualität zu sprechen – das ist ein Tabu, und solche Tabus hinterlassen tiefe Traumata. Es ist einfacher für mich zu sagen, was es bedeutet, seinen Körper nicht zu besitzen, denn wenn man geboren wird, gehört der Körper dem Vater und dann dem Ehemann, aber niemals einem selbst. Einen eigenen Körper zu haben, bedeutet Autonomie, Unabhängigkeit, Macht, und hier ist es eher ein Luxus als etwas Selbstverständliches.
osTraum: Oftmals steht in deinem Werk der ländliche Raum im Vordergrund. In der Bildserie “Jannat” untersuchst du den Prozess des Baumwollpflückens, der als harte Arbeit gilt. Dennoch ist die Farbpalette hell, pastellfarben und impliziert im Allgemeinen Sanftheit und Harmonie. Liegt in diesem Kontrast eine Botschaft?
Kamila: Diese Frage stellt sich mir auch heute noch. Ich habe den Kontrast nicht absichtlich erzeugt, aber es gibt einige Gründe dafür. Erstens liegt es an meinem künstlerischen Stil – weiche, warme Farben, eine gewisse Plastizität des Bildes und ein bestimmtes Timing der Aufnahmen. Zweitens ist es die Beziehung zu meinen Figuren – die Wärme der Kommunikation und der Fürsorge. Die Figuren selbst nehmen den Schrecken der Situation nicht wahr oder verstehen ihn nicht; viele von ihnen sind froh, arbeiten zu können, für manche ist es eine jährliche Routine.
Die Stimmung auf den Feldern, die ich gesehen habe, war stellenweise angespannt, da die Menschen sehr müde sind und mit Ungerechtigkeiten konfrontiert werden, aber insgesamt herrschte eine warme Atmosphäre, Kommunikation, Fürsorge füreinander und Scherze. Ich möchte nicht, dass meine Serie so wahrgenommen wird, als würde sie ein positives Bild dieser Arbeit verbreiten, daher sind die Texte und Beschreibungen für mich wichtig, damit die Menschen einen Kontext haben.
Für einige Usbeken, die während ihrer Schul- und Universitätszeit Baumwolle gepflückt haben, als es noch studentische Zwangsarbeit gab, sind dies angenehme, warme Erinnerungen und eine angenehme Nostalgie. Für meine Helden ist dies jedoch eine Realität, die keine Alternative hat.
osTraum: Queere Identitäten sind ein wichtiges Thema in deinem künstlerischen Werk. In „ASL” zeigst du nackte Körper. Wir sehen normale Körper, aber wir wissen, dass jenseits der Körperlichkeit diese Menschen für andere, intolerante Menschen als “abnormal” gelten, weil diese Körper sich nach gleichgeschlechtlicher Liebe sehnen. Möchtest du uns mehr über deine Intention bei der Erstellung dieser Fotoserie erzählen?
Kamila: Die Idee hinter der Serie ist ziemlich alt. Sie besagt, dass es natürlich und normal ist, queer zu sein. Daran muss in unserer Gesellschaft jedoch immer wieder erinnert werden, denn die Menschen denken, dass Queer-Sein erfunden, falsch und abnormal sei, und das wird durch Propaganda manipuliert. Wir konnten die Gesichter unserer Helden nicht filmen, weil es nicht sicher ist, und in unserer Gesellschaft werden queere Menschen entpersonalisiert.
Das vollständige Interview in russischer Sprache kann man*frau hier nachlesen:
Bildernutzung mit der freundlichen Genehmigung von Kamila Rustambekova
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