Die 7 Orte im Baltikum* außerhalb der Hauptstädte

Baltikum. Dieser Begriff ist der Region eigentlich von außen zugeschrieben, denn die drei Länder, die heute als „das Baltikum“ bezeichnet werden, haben eigentlich gar nicht so viel gemeinsam, wie der Begriff suggeriert. Sprachlich sind Lettisch und Litauisch zwar verwandt, aber verstehen können die beiden Völker sich nicht, wenn sie in ihrer Muttersprache reden. Und Estnisch ist mit dem Finnischen verwandt. Auch die Geschichte der drei Länder ist unterschiedlich verlaufen: Während die Geschichte Litauens durch das Großfürstentum und die Rzeczpospolita geprägt ist, gibt es Lettland als einen unabhängigen Staat noch nicht sehr lange. Die Lettische Geschichte ist geprägt durch die Geschichte Livlands, Kurlands, Semgallens und Lettgallens, der heutigen vier Landesteile und – vereinfacht gesagt – der Vorgänger Lettlands. Auch die Deutsch-Balten, der Deutsche Orden, Schweden und Russen spielten hier eine große Rolle. Beginnen wir mit unserer kleinen Baltikum-Rundreise in Litauen, dem südlichsten der drei Länder.

1. Šiauliai (Litauen)

Šiauliai ist die viertgrößte Stadt Litauens und liegt im Norden des Landes. Die Stadt, die auf Deutsch Schauen heißt, ist weniger bekannt, als die Hauptstadt Vilnius oder die Hafenstadt Klaipėda, aber auf jeden Fall einen Besuch wert. Besonders sehenswert ist hier der Kryžių Kalnas, der Berg der Kreuze. Davon stehen hier heute fast eine halbe Million.

Kreuze als Erinnerung an Verstorbene, Kreuze als Symbol für Glauben, Kreuze als Mitbringsel von Tourist*innen. Auf manchen Kreuzen stehen Namen von Verstorbenen, auf manchen die Namen von Tourist*innen, die sich so verewigen wollen.

Irgendwo ertönt Kirchenmusik, ansonsten ist es gespenstisch still. Der Berg der Kreuze ist kein Friedhof, hier liegen keine Toten, auch ist er kein wirklicher Berg, höchstens ein sehr kleiner Hügel, aber trotzdem schon von weitem sichtbar. Der Wallfahrtsort wurde schon von Papst Johannes Paul II. gesegnet und lockt jedes Jahr Pilger*innen aus aller Welt an. Der Ursprung des besonderen Ortes liegt in der Erinnerung an verschiedene Repressalien. Die ersten Kreuze tauchten wahrscheinlich nach der Dritten Teilung Polen-Litauens und der Niederschlagung der Aufstände auf. In der Zeit der Sowjetunion wurden religiöse Orte, Gebäude und auch Priester stark bekämpft und verfolgt, so dass der Kryžių Kalnas mehrfach zerstört wurde. Die Menschen gaben jedoch nicht auf und stellten jedes Mal neue Kreuze auf. Seitdem gilt der Berg der Kreuze auch als Ort des nationalen Widerstandes. 

Vom Busbahnhof im Zentrum von Šiauliai fährt der Bus Richtung Joniskis. An der Bushaltestelle Domantai aussteigen und von dort weist ein Schild den 2km langen Fußweg zum „Berg“.  

Zwei einzelne Kreuze am Straßenrand markieren den ca. 2km langen Fußweg zum „Berg“.
Tipp: Abseits der Sommersaison kann man die besondere Stille des Ortes ganz ohne Tourist*innen genießen.
Am Besten früh morgens zum Sonnenaufgang hin fahren. Frühmorgendlicher Tau und Nebel im Februar geben dem Ort ein besonderes Flair.

2. Vištytis/ Vištyčio ežeras (Litauen)

Vištytis ist ein kleiner Ort an der Grenze zur russischen Oblast Kaliningrad. Was den kleinen Ort mit knapp 400 Einwohnern so besonders macht, ist die skurrile Grenzsituation. 

In dem kleinen Dorf, das nach dem Wystiter See, dem Vištyčio ežeras, benannt ist, zerschneidet die EU-Außengrenze Grundstücke in der Dariaus-ir-Girėno-Straße und trennt damit Familien, fast so, wie früher die Mauer in Berlin.
Die litausch-russische Grenze geht mitten durch einen Garten.

Ein Grenztausch vor ein paar Jahren brachte einen Teil der Familien wieder zu Litauen, doch eine Familie lebt nun dauerhaft in Russland und ist durch einen hohen Zaun, der mitten durch einen Vorgarten geht, von den anderen getrennt. Einen Grenzübergang gibt es an der Stelle nicht.

Das Ortseingangsschild direkt am Grenzzaun ist mittlerweile nutzlos. Einen Grenzübergang gibt es hier nicht mehr.
Auch der Wystiter See ist aufgeteilt zwischen Russland und Litauen. Von Vištytis sind es nur wenige Minuten zum See, der für Segeltörns oder zum Baden einlädt.

Die Boje zwischen den beiden Bäumen markiert die Grenze zu Russland, die auch auf dem Wasser nicht überquert werden sollte. Da hier kein offizieller Grenzübergang existiert, nützt auch ein Visum nichts.

Einen Campingplatz gibt es hier auch. Überall stehen kleine und große Kunstwerke aus Schrauben und Muttern oder aus Holz.

3. Rundāle (Lettland)

Der kleine semgallische Ort Rundāle hat nur etwas mehr als 700 Einwohner und ist bekannt für das „Versailles des Ostens“.

Das Schloss Rundāle wurde auf Anweisung von Kaiserin Anna für Ernst von Biron gebaut.

Der Baltendeutsche Biron wurde zum mächtigsten Mann im Russischen Reich und machte sich bei Kaiserin Anna unentbehrlich.

Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg ist das Schloss und der Schlosspark heute aufwändig restauriert und auf jeden Fall eine Reise wert. 

4. Krāslava (Lettland)

Auch der kleine Ort Krāslava hat ein Schloss zu bieten. Dieses ist jedoch viel kleiner als das in Rundāle und eher ein großes Herrenhaus.

Die polnisch-litauische Szlachta-Familie Plater residierte hier einst.

Krāslava liegt mitten in der sogenannten „Lettischen Schweiz“ in Lettgalen, einem der vier historischen Landesteilen Lettlands. Die Kleinstadt liegt an der Düna, unweit der Grenze zu Belarus. 

5. Kap Kolka (Lettland)

Kap Kolka befindet sich in Lettland, genauer gesagt in Kurland, und bildet den nördlichsten Zipfel Kurlands.

Hier treffen die Ostsee und der Rigaer Meerbusen aufeinander, was man sogar sehen kann, wenn man an der Landzunge am Strand die Wellen beobachtet.

Das Wasser der aufeinanderprallenden Wellen hat unterschiedliche Farben. Auch wenn der Strand zum Schwimmen einlädt, ist es hier verboten und lebensgefährlich. Durch die aufeinandertreffenden Wasser, ist die Strömung hier so stark, dass selbst Fische verenden, weil sie sich aus den Strudeln nicht mehr befreien können.

Das Kap Kolka ist Teil des Nationalparks Slītere.

Neben der wunderschönen baltischen Natur, kann man hier Fischadler, Auerhühner, Wölfe, Luchse oder sogar Elche in freier Natur beobachten und ausgiebige Radtouren oder Wanderungen unternehmen.

Der Weg durch den Nationalpark Slītere geht teilweise über Holzbohlen mitten durch unberührte Natur.

6. Daugavpils (Lettland)

Daugavpils ist heute die größte Stadt der EU, in der die meisten Einwohner Russisch sprechen, denn über die Hälfte der Einwohner zählen zur Russischen Minderheit in Lettland. Die vergangene Sowjetzeit ist hier auch im Stadtbild besonders präsent.

Blick auf Daugavpils von einem der höchsten Gebäude der Stadt.
Die Düna/Daugava bei Daugavpils.

Auch die Gebäude erinnern an die sowjetische Architektur. Die Grenze zu Belarus ist um die Ecke. Auch Daugavpils, auf deutsch Dünaburg, liegt, wie der Name schon sagt, an der Düna, die auf lettisch Daugava heißt. Touristisch besonders interessant ist die große Festung Daugavpils.

Der Eingang zur Festung Daugavpils, die von Ivan dem Schrecklichen errichtet wurde, nachdem er die Stadt in Schutt und Asche gelegt hat. Über dem Gebäude prangt noch heute stolz der russische Doppelkopfadler.
Panorama der Festung Daugavpils.

7. Kaliningrad (Russland)

Streng genommen gehört das russische Kaliningrad, das frühere Königsberg, politisch nicht zum Baltikum, auch wenn es in der Kaliningrader Politik vereinzelnd Stimmen gab, die die Oblast aus der Russischen Föderation ausgliedern und unter dem Namen Baltika unabhängig machen wollten. Trotzdem lohnt sich ein Abstecher mit dem Zug von beispielsweise Vilnius aus in die russische Exklave, sobald sich die Coronakrise abgeschwächt hat.

Königsberg wurde im Zweiten Weltkrieg nahezu vollständig zerstört, so dass von der alten Stadt nichts mehr übrig ist. Heute dominiert der sowjetische Plattenbau.

Auch wenn der erste Eindruck der Stadt abschreckend sein kann, sollte man der Stadt eine zweite Chance geben.
Das Zentrum wurde zur Männer-Fußball-WM 2018 aufwändig herausgeputzt und modernisiert.
Frisch sanierte Altbauten am Leninprospekt im Zentrum von Kaliningrad.
Zur 750-Jahrfeier bekam die Stadt einen repräsentativen Kirchenneubau auf dem früheren Hansaplatz, dem heutigen Siegesplatz.
Kaliningrad ist sehr kontrastreich und in den letzten Jahren wird sehr viel neu gebaut und modernisiert.
So zum Beispiel das Rybnaja Derevnja, das sogenannte Fischerdorf. ein für touristische Zwecke neu errichteter Komplex, samt neuem Leuchtturm, alles im altdeutschen Stil. Original ist hier nichts.
Neben dem offiziellen russischen Namen Kaliningrad, benannt nach dem ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Kalinin, ist heute umgangssprachlich auch das russifizierte Kjonigsberg gebräuchlich. Lokale Läden finden auch Gefallen daran, das deutsche Wort König in den Namen des Geschäftes oder der Produkte einfließen zu lassen.
Einige wenige historische Bauwerke aus deutscher Zeit sind erhalten. Man muss sie aber suchen, wie das Beispiel der Heilig-Kreuzkirche eindrucksvoll zeigt. Am besten vorher auf einem Stadtplan raussuchen und alle Ziele markieren. Meine Tipps:
Die 1930 errichtete Kreuzkirche.
Das Brandenburgskije Vorota, das Brandenburger Tor von Kaliningrad. Anders als sein Berliner Pendant ist es nicht nach der Stadt Brandenburg an der Havel, sondern nach der ehemals ostpreußischen Kleinstadt Brandenburg, dem heutigen Ušakovo benannt.
Das Fort Friedrichsburg, errichtet vom Brandenburger Kurfürst Friedrich Wilhelm. Heute ist es eine Außenstelle des Kaliningrader Weltmeere-Museums.
Und natürlich darf das frühere und heutige Wahrzeichen nicht fehlen: der Königsberger Dom, heute Kaliningradskij Sobor, der in den 1990er Jahren aufwändig wiederaufgebaut wurde.
Im Seitenflügel des Domes liegt der berühmte Philosoph Immanuel Kant begraben.

Die Ruinen des zweiten ehemaligen Wahrzeichens, das imposante Königsberger Schloss, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gesprengt.

Seit den 1970er Jahren steht hier jetzt das Dom Sowjetow – das Haus der Räte. Bis heute ist es jedoch eine Bauruine. Es gab immer wieder Bestrebungen, das Schloss wiederaufzubauen. 2018 fanden Ausgrabungen statt, rechts im Hintergrund sieht man den Dom.
Sanierte Altbauten und auf alt gemachte Neubauten am Fluss Pregolja (Pregel), im Hintergrund das Dom Sowjetow und das Rybnaja Derevnja.

Von Kaliningrad aus ist man in weniger als einer Stunde mit dem Auto oder Bus in den Ostseebädern Baltijsk (früher Pillau), Svetlogorsk (früher Rauschen) oder an der Kurische Nehrung. Von dort aus kann man weiter nach Nida in Litauen fahren.


* und Kaliningrad


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Alle Fotos © Dennis Rabeneick für osTraum

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