Split 3 – Jugoslawische Stadtplanungsutopie in Kroatien

Split 3 ist ein städteplanerisches Großprojekt, das Ende der 1960er erdacht wurde. Seit dem Bau sind also bereits mehr als 50 Jahre vergangen. Der kroatische Photograph Tomislav Marcijuš nimmt uns mit auf eine kurze Zeitreise von der Konzeption bis zum heutigen Status des einstigen Vorzeigeprojekts.

Der Artikel erschien zuerst im großartigen Online-Journal Balkanium, mit dem osTraum bereits ein Interview führen durfte.

Die Stadt ist dem Menschen sehr ähnlich. Die Stadt und der Mensch haben ihre Geschichte und ihr Schicksal. Beide durchlaufen verschiedene Phasen und schwierige Momente, die oft durch das politische und wirtschaftliche Klima und heute durch die Pandemie bedingt sind. Nachdem ich mich in meiner privaten Arbeit mit der Beziehung zwischen Mensch, Raum und ihrer Verflechtung beschäftigt habe, wird meine neue Geschichte mein Wissen über den Bau und die Fotografie von Split 3, einem der größten städtischen Projekte im ehemaligen Jugoslawien, zeigen.

Die Fotoserie zeigt die Ähnlichkeit und Entfremdung zwischen Stadt und Mensch, die in der Zeit von und durch COVID-19 verursacht wurde. Die Fotos verweisen aber auch auf eine Zeit, in der dasselbe Viertel –  zehn Jahre nach seiner Errichtung – nicht nach den Vorstellungen von Stadtplanern und Architekten funktionierte. Der einzige Zweck des Viertels Split 3 bestand darin, der Entfremdung entgegenzuwirken und die Menschen auf eine Weise mit dem Raum zu verbinden, die sie zu “besseren Menschen“ machen würde.

Manchmal sind wir uns des Raumes um uns herum nicht bewusst und ebenso wenig der Menschen um uns herum. Wir leben von Tag zu Tag und denken, dass alles, was gerade passiert, normal ist. Split 3 eröffnet eine Reihe von Themen, die uns als Wesen betreffen, und stößt eine Debatte über den Mangel an Beziehungen zwischen Menschen an. Beziehungen entstehen, wenn sich die Blicke zum ersten Mal treffen. Diese Fotoserie versucht, eine Beziehung zu dir aufzubauen.

Die Idee erwacht zum Leben

Das umfangreiche Programm “Split 3” wurde durchdacht und gut umgesetzt. 1968 wurde ein jugoslawienweite Wettbewerb ausgeschrieben. Dieser Wettbewerb wurde von Stadtplanern aus Slowenien gewonnen – Vladimir Mušič, Marjan Bežan und Nives Starc. Die slowenischen Stadtviertel wurden von slowenischen Stadtplanern als eine Reihe von parallelen Wohnblocks in Ost-West-Richtung konzipiert. Jeder bestand aus zwei parallelen Teilen: dem nördlichen, höheren und dem südlichen, der niedriger war, um das Sonnenlicht nicht zu blockieren. Dazwischen befand sich eine Fußgängerzone, die das Terrain ausgleichen sollte. Auf diese Weise übertrugen die slowenischen Stadtplaner den Geist und die Kultur der mediterranen Festung auf den Maßstab des neuen sozialistischen Baus. Nach der städtebaulichen Planung folgte die zweite Runde des städtischen Architekturwettbewerbs, dessen Ziel es war, das beste Architektenteam auszuwählen, das schlussendlich aus Dinko Kovačić, Frane Gotovac, Danko Lendić, Mihajlo Zorić, Ante Svarčić und Ivo Radić bestand.

Das gesamte Projekt wurde von der PISG (Bauunternehmen in Split) unter der Leitung von Josip Vojnović organisiert. In dieser Zeit hat alles perfekt funktioniert, die Atmosphäre zwischen allen Beteiligten war gut. Es gab keine Missverständnisse zwischen Stadtplanern, Architekten und Designern. Dadurch hatten die Architekten völlige Freiheit, sich künstlerisch auszudrücken und ihr Werk erkennbar zu machen. Split 3 (zu dem Trstenik, Mertojak, Žnjan, Visoka und Dragovode gehören) war ein Stadtteil für 50 000 Menschen. Das Projekt erregte weltweites Interesse, so dass Delegationen aus der ganzen Welt anreisten, um das Projekt zu besichtigen. Der Komplex Split 3 ist ein bauliches Wunderwerk. Es war ein großes Projekt, das den Lebensstandard in Split veränderte.

Die volle Entfaltung der Stadt wurde jedoch durch den Bau von Sport- und Fremdenverkehrseinrichtungen für die Mittelmeerspiele im Jahr 1979 “verhindert”, für die ein ständiger Strom öffentlicher Gelder erforderlich war. Tatsächlich wurde das Projekt nie vollständig abgeschlossen, ein perfektes Beispiel dafür ist Žnjan, das seit den 90er Jahren ein fruchtbarer Boden für städtische Auswüchse ist. Verschiedene Änderungen in der Stadtplanung trugen so dazu bei, dass viele Architekten aus Slowenien nach Ljubljana zurückkehrten.

Das Positive bleibt bestehen

Auch die JNA, der mächtigste Investor, war in der Lage, ihren Wohnungsbedarf zu decken, doch etwas später, aufgrund soziopolitischer Veränderungen, trat 1991 das Privateigentum in den Vordergrund und die Stadt wurde zu einem kollektiven Produkt. Zu diesem Zeitpunkt erlebten die Menschen eine neue Art von Konvention, bei der sie sich der Regeln nicht mehr bewusst waren. Split 3 blieb nur eine Geschichte, ein Mythos, der sich perfekt in das von der Politik gewünschte Bevölkerungswachstum einfügte.

Etwas mehr als 50 Jahre später gelten die Stadtteile von Split 3 als positives Beispiel für die Kultur des Miteinanders und der Solidarität in Split. Trstenik ist der lebendigste und erfolgreichste Teil von Split 3 – und hier wird nun am stärksten eingegriffen.

Vor rund zehn Jahren wurde die Kirche in den städtischen Stil eingefügt, und dann das Gebäude der Augenklinik. Vor kurzem hat die Stadt Split auf der Nordseite des Blocks einen Wettbewerb mit einem erschreckend ehrgeizigen Projekt ausgeschrieben – ein Einkaufszentrum und zwei Wolkenkratzer mit mehr als zwanzig Stockwerken. Diese Situation ist ein echtes Beispiel für Profittrieb, bei dem es keine Harmonie gibt und alles dem Geld untergeordnet wird, und das die Risse im kroatischen Konzept des Denkmalschutzes zeigt. Es gibt auch einen Zusammenhang zwischen dem städtischen Leben und der Tatsache, dass der Verbraucher immer Recht hat und als solcher für sein Geld tun kann, was er will. Dies führt zu einer Vielzahl von illegal gebauten Häusern und Gebäuden, die erst später legalisiert wurden.

Die Kunstgruppe “Kvart”, bestehend aus Boris Šitum, Milan Brkić und Rino Efendić, wurde ebenfalls in Trstenik gegründet. Ihr wichtigstes Merkmal sowie Dreh- und Angelpunkt ist die Verbindung zur Nachbarschaft. Es ist auch der Ort, an dem Aktionen, Veranstaltungen, Performances, Ausstellungsstücke und Rauminstallationen durchgeführt werden. Trstenik ist aber auch der Vorort einer Stadt, also ein bewusster Rückzug in die so genannte “Off”-Position, die Position des Widerstands. Die berühmte Inschrift/Installation “MEANING” (“SMISAO”) ist das Werk von Boris Šitum, das für den Betrachter unzählige Bedeutungen haben kann.

Was macht für euch Sinn? Ist Split 3 nur ein Stadtviertel oder sollte es den Sinn des Lebens ausmachen?

Die Entscheidung liegt bei euch.


Der Originalartikel mit weiteren Fotos ist beim Journal Balkanium verfügbar.

Copyright für alle verwendeten Bilder: Tomislav Marcijuš


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