(русская версия интервью в самом конце немецкого материала)
In den letzten 20 Jahren hat sich in der postsowjetischen Tattoo-Szene vieles getan, wie wir neulich im Interview mit Sasha Hain – der wohl ersten veganen Tattoo-Künstler*in Russlands – erfahren haben. Doch nicht nur die Technik oder die moralische Komponente ist dazu gekommen, auch eine große Diversität an Motiven bereichert das Kulturleben Russlands, zumindest in den beiden Hauptstädten – Moskau und St. Petersburg. Bis zum Ende der 2000-er/Anfang 2010-er Jahre waren die aus Japan kommenden Comics-Stil Manga und Anime-Trickfilme ein Nischenthema, das oft als etwas für Kinder abgestempelt wurde. Seit etwa 2010 wächst aber das Interesse auch beim Erwachsenenpublikum, das eingesehen hat, dass es weitaus um mehr geht als “Kinderunterhaltung”. Ernste (Trick-)Filme, Graphic Novels und natürlich die fortschreitende Digitalisierung haben zu dem Boom von Manga und Anime beigetragen. Mittlerweile möchten sich Tausende von Menschen solche Motive auch auf der Haut verewigen. Valeria aka Ooqza ist eine Tätowiererin aus Moskau und zumindest für den Stil von Anime und Manga ist sie mit Abstand die populärste Künstlerin ihrer Gattung. osTraum hat sich mit Ooqza über Tattoo-Stereotype in Russland, ihre Kindheit und die heutige Tattoo-Szene auf dem post-sowjetischen Raum unterhalten. Dabei ist dieses Interview entstanden.

osTraum: In deinen Arbeiten herrscht Schwarz vor und manchmal ist auch Rot zu sehen. Zweifellos sind dies sehr starke Farben. Womit sind diese Farben für dich verbunden?
Ooqza: Als ich meinen eigenen Tattoo-Stil gefunden habe, habe ich meine Arbeiten ausschließlich in Schwarzweiß gesehen, wie Manga eben. Im Laufe der Zeit wollte ich mehr experimentieren und fügte Rot hinzu. Wenn ich die Farben so analysiere, bedeutet Rot für mich Angst und Gefahr, aber auch gleichzeitig Leidenschaft und Liebe. Es ist insgesamt eine mehrdeutige und aufregende Farbe. Sie passt gut zu verschiedenen Schwarztönen. Ich habe mir aber bereits überlegt, andere Farben hinzuzufügen, eher warme Farben, wie Pink, Gelb, Orange. Sie sehen auch gut aus und werden vielleicht in Zukunft miteinbezogen. Im Moment ist aber Rot DIE Farbe. Ich denke, dass es sich sehr vorteilhaft in meine Portraits einbauen lässt.
osTraum: Wenn wir uns aber die grafische Gestaltung radikaler politischer Bewegungen des 20. Jahrhunderts und auch heute noch anschauen – Antifa, Kommunisten, Anarchisten, Nazis und Neo-Nazis – sie alle verwenden oft Schwarz, Weiß und Rot. Werden die Farben für dich nicht mit irgendwelchen Ideen, Überzeugungen, philosophischen oder politischen Einflüssen konnotiert?
Ooqza: Betrachtet man meine künstlerische Tätigkeit im Kontext der zeitgenössischen Kunst, dann hat nichts, was ich mache, mit Politik und politischen Ansichten zu tun. Meiner Meinung nach muss es politisierte Kunst geben, sie ist gesellschaftlich wichtig, politische Kunst würde mir persönlich aber feste Rahmen setzen. Politische Themen erlauben keine Experimente. Politische Themen binden an sich und verpflichten den*die Künstler*in. Das Farbschema, das ich verwende, ist ziemlich einfach, aber ich möchte es wirklich nicht bei den Farben belassen, vielleicht wird es mal rot-orange-weiß oder Millionen anderer verschiedener Kombinationen. Meine Arbeit ist frei von Politik.


osTraum: Anime und Manga sind in deinen Tattoos sehr dominant und du machst es auch wirklich gut. Wie hat es aber alles angefangen? Hast du als Teenagerin Bücher und Manga gelesen, Anime geschaut? Könntest du dir vorstellen, selbst einen Graphic Novel oder einen Manga zu zeichnen?
Ooqza: Ich habe immer Anime geschaut! Als Kind bin ich von der Schule nach Hause gerannt, um die neue Folge meines Lieblingsanimes im Fernsehen zu sehen. Zu dieser Zeit war es schwierig mit dem Internet, also habe ich alle Anime nach dem Fernsehprogramm geschaut. Um 6 Uhr morgens ein Anime vor der Schule, ein weiterer von 13 bis 16 Uhr. Später hatten wir dann Internet und alles wurde viel einfacher. Ich habe Charaktere aus Anime gezeichnet, meine eigenen erfunden, auf meiner Seite im Internet gepostet, einmal eine Kiste aus Ikea bemalt.
Ich habe oft gehört, dass ich wirklich meinen eigenen Manga zeichnen sollte, und das würde ich auch sehr gern machen, hier kommt aber die Frage nach einer guten Geschichte. Ich würde gern einen Superkraft-Manga zeichnen. Als Kind habe ich immer davon geträumt, Geister zu sehen und habe mir diesen Wunsch sogar zum Jahreswechsel und zum Geburtstag gewünscht, bevor ich die Kerzen auspustete. Es ist lustig, aber selbst jetzt würde ich gern diese Fähigkeit haben. Dadurch bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich ein Sujet brauche, oder eine Person, mit der wir es gemeinsam entwickeln. Ich glaube, dass es entweder nicht so gut wird, wenn ich es allein mache, wie es möglicherweise sein könnte. Oder es wird Jahre dauern, damit es gut wird. Kollektive Intelligenz und Diskussionen führen immer zu einem besseren Ergebnis. Wenn also eine*r eurer Leser*innen begabt ist und mit mir einen Manga erstellen möchte, schreibt mir und wir kommen ins Gespräch! 🙂
osTraum: Könntest du dir vorstellen, auch in anderen Comic-Stilen zu arbeiten? Z. B. in Richtung des goldenen Zeitalter der Comics – Wonder Woman und Superman und und und…?
Ooqza: Mittlerweile fragen die Kund*innen eigentlich selten nach etwas, was nicht in meinem Stil ist. Die Menschen kommen zu mir extra für meine Charaktere. Obwohl neulich tatsächlich eine Frau nach Biomechanik gefragt hat. Ich glaube, sie kannte so ein Konzept wie den eigenen Stil eine*r Tätowierer*in einfach nicht und ist einfach zufällig auf meinen Account auf Instagram gestoßen und dachte, dass alle Tätowierer*innen in allen Stilen gleich gut tätowieren können.
Ich würde aber gern ein Projekt umsetzen, das auf amerikanischen Comics basiert! Ich habe das einmal mit dem Harley Queen Tattoo in ihrem allerersten Look gemacht. Eine coole Erfahrung! Meine bisherigen Zeichnungen sind eine Mischung aus Manga, amerikanischen Comics und Konzeptkunst. Also ja! Es liegt mir nah!
osTraum: Was war dein erstes persönliches Tattoo, als das erste Tattoo auf deinem Körper? Wie alt warst du und wer hat das tätowiert? Was für ein Motiv war es und warum? Hat es auch auf irgendwelche Weise damit zu tun, dass du selbst eine Tätowiererin wurdest?
Ooqza: Es waren klassische Pfingstrosen am Oberschenkel. Ich habe sie selbst gezeichnet, nachdem ich eine Skizze für das Tattoo einer Freundin gezeichnet hatte. Ich hatte damals noch nicht tätowiert, aber das Skizzieren war meine erste Berührung mit der Kunst der Tätowierung. Die Freundin wurde tätowiert, ich war bei der Sitzung dabei und habe den Prozess beobachtet. Als ich das Tattoo für mich selbst skizzierte, dachte ich, dass Pfingstrosen etwas Neutrales für das erste Tattoo sind, dass sie mit der Zeit langweilig werden und trotzdem war ich selbst aufgeregt und unsicher. 🙂 Doch dieselbe Freundin hat mich beeinflussen können und ich habe mich zu dem Schritt getraut. Ich habe damals in Tula (3 Stunden südlich von Moskau) gelebt und habe die Skizze an einen Meister nach Moskau geschickt. In Tula gab und gibt es keine guten Tätowierer*innen. Ich war damals 20 Jahre alt und meine Mutter hat mir zum Geburtstag das Geld für dieses erste Tattoo geschenkt! Ich denke, dass diese Erfahrung damit zu tun hat, dass ich mich jetzt professionell damit beschäftige. Schon damals dachte ich, dass das Tätowieren ein tolles Hobby ist. Während meiner ersten Sitzung habe ich genau zugeschaut und versucht zu verstehen, wie und was zu tun ist. Später waren Freund*innen der gleichen Freundin, die mich zu allem motiviert hat, auch meine ersten Kund*innen. So fing alles an, mit Home-Tattoos nach Vorlesungen an der Uni.

osTraum: Was rätst du Kund*innen, die sich zum ersten Mal in ihrem Leben tätowieren lassen?
Ooqza: Ich rate ihnen, über die Idee etwas länger nachzudenken, damit sie sich mit dem Motiv identifizieren und die Skizze nicht mit zu vielen Elementen überladen ist. Lakonismus ist meiner Meinung nach der Schlüssel zu einem guten Sketch. Manche Leute möchten in einem kleinen Projekt gleich ein Mädchen, ein Fächer, einen Fuchs und einen Sonnenuntergang über dem Meer und ein paar Vögel und einige weitere Symbole… und das alles sind 15 cm auf dem Unterarm. 🙂 Natürlich entsteht daraus ein unleserliches Bild. Besser ist es, die vielen Ideen auf zwei verschiedene Tattoos aufzuteilen. Ich berate aber nicht über die Stelle für das Tattoo. Ich halte es für nicht akzeptabel, wenn eine Person eine Tätowierung auf ihren Rippen haben wollen würde, ich sie aber überzeugen würde, das am Bein zu stechen. Ich warne jedoch immer, dass die Rippen oder der Nacken empfindlichere Stellen sind als zum Beispiel der Unterarm. Aber in der Regel hat die Mehrheit schon davon gehört. Besondere Fragen gibt es in der Regel nicht – meist über die Heilung des Tattoos. Das Anfertigen einer Skizze ist für mich ziemlich einfach. Der Kunde schickt mir eine Beschreibung oder Bilder als Beispiel für eine Idee, meistens etwas aus meinen bestehenden Arbeiten, ich frage nach der Stimmung der Skizze, der Emotion im Gesicht der Figur und nach bestimmten Eigenschaften, die die Person wünscht in der Skizze zu sehen. Das ist genug, dann erfinde ich alles selbst.
osTraum: Auf dem postsowjetischen Raum gibt es viele Stereotype über Tattoos. Angefangen damit, dass eine Tätowierung nur aus der Gefängnis- oder der Armeezeit stammen darf, bis hin zu der Behauptung, dass man sich während einer Sitzung bei eine*r Tätowierer*in mit HIV oder anderen Krankheiten anstecken kann. Wie sieht es mit solchen Stereotypen im heutigen Moskau, St. Petersburg und Russland aus?
Ooqza: Natürlich, gab es so was! Viele Befürchtungen sind unverändert geblieben aufgrund der Tatsache, dass wenig Zeit vergangen ist, so dass noch nicht die Mehrheit der Menschen sehen konnte, dass die Technologien große Fortschritte gemacht haben und dass Tätowier*innen nicht mehr nur diejenigen sind, die in Gefängnissen stechen, dass es heute ein steriler Prozess ist und dass sehr viele Tätowierer*innen absolut alle Werkzeuge (die Tätowiermaschine ausgenommen) nach jeder Sitzung entsorgen. Natürlich gibt es immer noch diejenigen, die wiederverwendbare Maschinenhalter verwenden, aber ich bin mir sicher, dass sie diese später, nach jeder Sitzung, sterilisieren. Mittlerweile gibt es Tintenpatronen mit so einer Membran, die das Innere der Maschine vor mit Blut vermischten Tintentropfen schützt. Das heißt, die nächste Kund*in wird mit dem biologischem Material der vorherigen Kund*in nicht in Berührung kommen. Absolut sicher und sauber! Mit Sicherheit benutzt niemand eine Nadel zweimal! Heute gibt es keinen Mangel an Werkzeugen mehr. Sauberkeit ist eine ernste Sache, von der das Leben der*s Klientin*en abhängt. Wenn die Tätowierer*in alle einfachen Regeln beachtet, nämlich die der Sterilität, dann ist die Sitzung sowohl für die Tätowierer*in als auch für die Kund*in absolut sicher.


osTraum: Erinnerst du dich an den Moment, als du ein Tattoo zum ersten Mal gesehen hast? Was war das für ein Motiv? Hat dieses Erlebnis dich auch später beeinflusst?
Ooqza: Das ist tatsächlich eine lustige Geschichte. Das erste Tattoo, das ich je gesehen habe, war das Tattoo meines Vaters. Das war so ein Tribal aus seiner Armeezeit. Das habe ich aber erst jetzt verstanden, aber als Kind dachte ich mir, was ist denn das für ein Ding auf Papas Schulter und wieso hat er das. Später wollte er das Tattoo überdecken und hat noch ein größeres Tribal gemacht, was auf genau so wenig Verständnis seitens meiner Mutter und meinerseits gestoßen ist. Lustig ist aber die Geschichte deshalb, weil er dann das Tattoo ein paar Jahre später nochmal verändern wollte, und ist dann aber zu mir als Meisterin gekommen. Als ich klein war, hatte das nicht wirklich einen Einfluss auf mich. Später jedoch, als ich mir das erste Tattoo stechen lassen wollte, auf jeden Fall, denn ich wusste, dass mein Papa Verständnis haben wird. So war es dann auch. Mein Papa und ich haben viele Witze über Tattoos gemacht und niemand in der Familie hat mich, meine Interessen oder Vorlieben verurteilt. Meine Eltern haben auch nie ein höheres Ziel in mich eingepflanzt, dass ich eine höhere Aufgabe für sie zu erledigen habe… Ihr kennt es bestimmt… es gibt so Eltern, die wollen, dass ihre Kinder Träume verwirklichen, die sie nicht zu verwirklichen geschafft haben. Ich hatte die absolute Freiheit das zu tun, was mir gefallen hat und meine Mutter hat mir dabei auch geholfen. Von der Berufswahl bis hin zu dem Moment, als ich über einen Berufswechsel nachgedacht habe. Ich habe schon immer gemalt, fotografiert, habe studiert und bin Grafik-Designerin geworden. Mitten im Studium habe ich aber eine Leidenschaft für Tattoos entwickelt und so sind sie bis heute Teil meines Lebens.
Den osTraum-Leser*innen würde ich gern auf den Weg mitgeben, dass sie keine Angst vor dem Tadel der Gesellschaft oder einem Aufprall von verschiedenen Meinungen haben sollten, denkt so, wie es für euch am besten ist und nicht für irgendwen anderen. Habt keine Angst vor dem Weg, der euch gefällt. Ohne einer leidenschaftlichen Beschäftigung wird alles nichts bringen. Liebt das, was ihr tut. Wenn ihr es aber nicht liebt, sucht das, was ihr lieben werdet.
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Alle Bilder © Ooqza