Mein Boyfriend aus dem Ferentari: “Soldaten” von Adrian Schiop

Ferentari ist kein Vorzeigebezirk von Bukarest, aber genau dahin zieht es Adrian, um über die Manele-Kultur für seine Dissertation zu schreiben. Ferentari ist ein armer Bezirk, das Leben hier ist geprägt von hoher Kriminalitätsrate und Obdachlosigkeit. Adrian passt nicht so richtig in diese Gegend und wird von den Einwohner:innen häufig als suspekt wahrgenommen. Eines Tages lernt er Alberto kennen, als er wehmütig nach der Trennung von seiner Freundin Ana durch die Kneipen von Ferentari zieht. Alberto ist ein Rom, der bereits als Teenager ins Gefängnis kam, wo er zum ersten Mal Sex mit Männern hatte. 120 kg schwer, über 30 Jahre alt, Schwätzer, spielsüchtig, lebt in einer Abhängigkeit von seinem Verwandten und dem hiesigen Gangster Borcan, für den er als Laufbursche unterwegs ist.

Der Ich-Erzähler findet in Alberto seine neue Liebe. Zwischen den beiden klafft eine tiefe Kluft, aber etwas zieht sie auch zueinander. Albertos Offenbarungen über sein früheres Leben machen Adrian sprachlos:

… Ich hab im Gefängnis Schwänze gelutscht, mit dir bin ich ehrlich. Ich war 16; im Bad stellten sie sich im Kreis um mich herum, es waren vier Jungs, groß wie Schränke – und mein Brüderchen hat mich gefickt , mit Gewalt dazu gebracht, und hat mich von allen die Schwänze lutschen lassen. Ich war der Kleinste da, was hätte ich machen sollen?

Die Beziehung zwischen den beiden geht länger als erwartet, und so steht Alberto vor der Wahl: Entweder macht er Schluss mit Adrian und bleibt weiter bei Borcan leben oder er beendet dieses Lebenskapitel und zieht bei Adi – wie er Adrian nennt – ein. Als die zweite Option eintritt, wird Alberto langsam von seinem neuen Freund abhängig. Er fragt ihn dauernd nach Geld und will immer ausgehen oder Automaten zocken. Das Stipendium von Adrian reicht für solch ein Leben aber nicht aus. Und als das Geld langsam ausgeht, wird die Beziehung jeden Tag schlechter. Es fällt Adrian jedoch nicht so einfach, dieser Affäre ein Ende zu setzen. Er ist auch abhängig von Alberto geworden. Aus der körperlichen Liebe wird mit der Zeit eine krankhafte Sehnsucht:

Er ging voraus, und wie er so ging, so schwerfällig mit der Schnauze im Shawarma, Bauch voran, dazu diese umproportional langen Arme, da hatte ich das Gefühl, er wäre ein gezähmter Zirkusbär, den man in der Stadt zwischen den Autos hat laufen lassen, der verwirrt war vom Hupen und dem Lärm, in dem er lebte – und alles, was er jetzt tun konnte, war, sich einen Herren zu suchen. Und genau das zog mich an, diese verwirrte und blinde Kraft, dass er mich fickte und ich ihm zu essen gab.

Der Roman von Adrian Schiop ist autofiktional. Mit den Augen des Ich-Erzählers blicken wir auf eine Liebesbeziehung, die auf den ersten Blick seltsam erscheinen mag, aber an sich nichts Ungewöhnliches darstellt. Die Geschichte von Schiop ist eine Suche nach den Gründen für die Liebe, für Gefühle wie Mitleid oder Reue. Eine Befragung von sich selbst. Der Ich-Erzähler betreibt Selbstanthropologie, um die eigenen Gefühle zu verstehen. Die Lesenden folgen ihm auf dieser Reise und schauen in die abgelegensten Ecken seines Ichs. Es wird unangenehm, aber spannend.

“Soldaten. Geschichte aus dem Ferentari” gilt als einer der ersten queeren Romane Rumäniens und wurde auf Rumänisch bereits 2013 veröffentlicht. Dieses Jahr erschien der Roman zum ersten Mal auf Deutsch beim österreichischen Verlag TEXT/RAHMEN. “Soldaten. Geschichte aus dem Ferentari” ist aufregend, abstoßend und sympathisch, absurd und realitätstreu. Es bleibt nun abzuwarten, bis noch mehr Bücher von Adrian Schiop ins Deutsche übersetzt werden.


Soldaten. Geschichte aus dem Ferentari

Adrian Schiop

TEXT/RAHMEN 2023

Übersetzt aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme


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Abbildung: Eigene Fotoaufnahme, Buchcover © TEXT/RAHMEN

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