Der Herr der Ringe: Putin als Sauron und Lukaschenka als Nazgûl

Tolkiens fiktive Literaturwelt um die Macht der Ringe, die Hobbits und andere menschenähnliche Wesen konzentrierte sich auf einer epischen Geschichte über den Kampf zwischen Gut und Böse, wobei das Gute und das Böse meist sehr klar abzugrenzen waren. Ob das Tolkien Universum aber tatsächlich ein Werk seiner Phantasie ist und keine Metaphern auf das tatsächliche 20. Jahrhundert enthält, bleibt seit Jahrzehnten eine hochdiskutierte Frage. Jedenfalls haben seine Phantasiesprachen Bezüge zu tatsächlich existierenden Sprachfamilien. Die Kulturen, Königreiche und politische Allianzen sowie ihre geografischen Einordnungen von Tolkien könnten ebenfalls auf die echte Welt Bezug nehmen und bis in das 21. Jahrhundert gelten. Einige osteuropäische Diktatoren machen heute noch eine Steilvorlage für die Suche nach Parallelen zwischen der Sagenwelt und der heutigen Politik. Wie sich vor allem Putin und Lukaschenka in diesem Kontext zu Meme-Figuren machen, erfahrt ihr in unserem Artikel.

© Pul Pervogo

Die Karte der Märchenwelt von Tolkien entstand in den 1930er Jahren und zeigt die „sterblichen Länder“ von Mittelerde, die laut Tolkien selbst Teil unserer eigenen Erde sind, aber in einer sagenumwobenen Zeit vor vielen Jahrtausenden. Das Land von Rhun kommt dem Mittelalter in China und dem Nahen Osten sehr nah. Khand liegt auch östlich und ähnelt gleichzeitig den Mongolen und Osmanen bzw. Türken. Bei den Hobbits im Nordwesten der Alten Welt und östlich des Meeres bietet sich die Einordnung zur Heimat Tolkiens an – England. Gondor entspricht in etwa den norditalienischen Regionen, die sich in Richtung der Adria, also eventuell auch Slowenien und Kroatien, erstrecken. Mordor könnte dabei irgendwo zwischen Siebenbürgen und dem europäischen Teil Russlands liegen, Minas Morgul in Ungarn und Minas Tirith in Österreich.

Mordor als das Imperium des Bösen wird von einem unsterblichen Geist der Bosheit regiert. Haben wir hier den ersten Bezug zu Putin, der die leninistisch-stalinistische Leiche der Sowjetunion mit allen Mitteln wiederbeleben möchte? In der UdSSR wurde Herr der Ringe tatsächlich von der Zensur abgelehnt, Übersetzer*innen gingen aber in ihrer Freizeit das Risiko ein, Tolkiens Romane ins Russische zu übersetzen und in der Sowjetunion zu verbreiten. Mitten im Kalten Krieg war die sowjetische Zensur allem, was vom gegnerischen System kommt, misstrauisch gegenüber. Der endgültige Grund für die Zensur des Fantasy-Klassikers kam 1983 – ein Jahr nach der ersten Veröffentlichung von Tolkiens Schriften in der Sowjetunion. Der US-Präsident Ronald Reagan bezeichnete die UdSSR als das „Reich des Bösen“, womit er wohl unbewusst, aber für die Fans der Tolkien-Romane eindeutig, auf Mordor Bezug nahm.

Heute beleben diese Bezüge Putin und Lukaschenka wieder und ergänzen damit das Bild über die Orks, ihr Land Mordor und ihre Herrscher. Im Telegrammkanal Pul Pervogo (de.: Pool des Ersten), das als das PR-Rohr von Lukaschenka gilt, wurde am 26. Dezember 2022 die folgende Nachricht mit dem dazugehörigen Bild veröffentlicht:

© Pul Pervogo

🔥Das Geheimnis des Rings des Ersten ist gelüftet! 9 Clubringe wurden speziell für das informelle Treffen der GUS-Führer vorbereitet. Auf ihnen – Glückwünsche zum neuen Jahr.

Pul Pervogo, via Telegram (osTraum Übersetzung aus dem Russ.)

Vladimir Putin überreichte den Teilnehmern des informellen GUS-Gipfels in St. Petersburg neun „Clubringe“. Das Geschenk haben erhalten: Vladimir Putin (Russland), Aliaksandr Lukaschenka (Belarus), Ilham Aliyev (Aserbaidschan), Kassym-Schomart Tokajew (Kasachstan), Sadyr Japarov (Kirgisistan), Emomali Rahmon (Tadschikistan), Serdar Berdimuhamedov (Turkmenistan), Shavkat Mirziyoyev (Usbekistan) und Nikol Pashinyan (Armenien).

© Pul Pervogo

In der Mitte des Rings befindet sich das Emblem der GUS, und innen ist ein Glückwunsch eingraviert – „Frohes Neues Jahr 2023“. Auf dem Ring steht auch das Wort „Russland“. Vor den Kameras hat nur Lukaschenka den Ring an seinem Eheringfinger platziert. Die anderen Teilnehmer haben das Geschenk zwar angenommen, haben es jedoch nicht angehabt. In Tolkiens „Der Herr der Ringe“ erhielten die Herrscher der neun Königreiche der Menschen neun Ringe vom Herrscher der Dunkelheit – Sauron. Nachdem sie die Ringe angezogen haben, wurden sie zu seinen unsterblichen Sklaven – den Nazgûls. Übertragen auf das Treffen der Vertreter der GUS-Länder wurde damit nur Lukaschenka zum Nazgûl, zumindest öffentlich.

© Reddit

So verlockend die Parallelen, z.B. dass Mordor irgendwo im osTraum oder heute eher in Russland liegt, sein mögen, kann bis heute trotzdem nicht gesagt werden, das es so ist, auch wenn sich im russländischen Krieg gegen die Ukraine oft die Metaphern über Russland als Mordor und die russländischen Streitkräfte als die Orks anbieten. Als „Der Herr der Ringe“ 1954/1955 veröffentlicht wurde, wurde das Werk unter anderem als eine Allegorie auf Nazideutschland interpretiert, Tolkien dementierte jedoch dies ausdrücklich. Sein Argument war, dass er seine Geschichte lange vor dem 2. Weltkrieg geschrieben hat. Letztendlich steht Mordor wohl für ein exemplarisches böses Imperium, das von einem unsterblichen Geist (zu lange) regiert wird.


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