Russlands Krieg in der Ukraine und der Einfluss in Serbien

Als eine neue – großflächige – Phase des russländischen Krieges gegen die Ukraine im Februar 2022 begonnen hat, wurde schnell klar, dass sich Serbien in einer schwierigen außenpolitischen Lage befinden würde. Jetzt, nach mehr als acht Monaten schauen die ersten Bilanzen für den aufstrebenden Balkanstaat nicht gut aus.

Am 01. November konnten Belgrader:innen für einen Moment aufatmen. Zumindest jene, die ihre Wohnungen und Häuser über das Zentralheizungssystem warm halten. Der Start der Heizsaison wurde aufgrund warmer Temperaturen verschoben. Ebenso wurden die Heizkosten um etwa 5 % gesenkt. Damit ist Serbien eins der wenigen Länder in Europa, welche auf dieser Weise vom Krieg profitieren – die Bevölkerung trägt geringere Kosten für Gas und Heizung… vorerst. Die Stromkosten stiegen Inflationsbedingt um 6,5%, was unter der aktuellen Inflationsrate von knapp 12% liegt.

Am Anfang der neuen Kriegsphase war vielen in Serbien klar, dass man die Regierung sich auf Russlands Seite positionieren würde, ohne groß auf Fakten zu achten. Gefühle spielten dabei die übergeordnete Rolle. Der NATO-Hass lebt nach dem Bombardement von 1999 in breiten Teilen der Gesellschaft weiter. Jugoslawien hätte nie den Warschauer Pakt unterzeichnet und eine neutrale Haltung gegenüber Russland eingenommen, wenn Serbien nicht mit Hilfe der Sowjetunion die Vorherrschaft in Jugoslawien erlangt hätte. Zudem ist Russland (bzw. die Sowjetunion) im Gegenteil zu den meisten Staaten Ost- und Mitteleuropas in Serbien als ein Aggressor nicht wirklich bekannt. Der Mangel an diesem Bewusstsein wird durchaus auch auf den Straßen und im Alltag sichtbar.

„Die Ukraine griff Russland an!“

Diesen Satz schrieb vier Tage vor dem Angriffskrieg Russlands – am 20.02.2022 – das Nachrichtenblatt Informer, Serbiens größter Tabloid. Innerhalb mehrerer Wochen darauf veröffentlichte das Blatt weitere Falschinformationen bis der größte Teil seiner Leser:innenschaft daran zu glauben anfing, dass es einen ukrainischen Staatsfaschismus gibt. Recherchen vom Journalistenportal Raskrikavanje ergaben, dass Putin es in den ersten sechs Monaten der neuen Kriegsphase in der Ukraine über 50 Mal auf die Titelseite von Informer geschafft hat. Durchschnittlich war er also alle drei Tage das Hauptthema der Zeitung. Serbiens Liebe für Putin sorgt auch für absurde Szenen im Alltag. Russ:innen, die vor dem Kriegsgeschehen und dessen Folgen fliehen, kommen in einem Land an, wo sie von Putin-Merch umgeben sind und auf Unverständnis geraten, warum sich jemand überhaupt gegen Putin stellen sollte.

Informer vom 13. Oktober 2022: „Putin sagt: Amerika tötet Europa. Washington will die EU zurück ins Mittelalter schicken, weshalb sie den Nord Stream gesprengt haben“

In den meisten Städten findet man Billboards mit der serbischen und russischen Fahnen mit der Überschrift ZUSAMMEN (ЗАЈЕДНО). Die Billboards sind eine Kampagne von Gazprom und NIS (Serbiens staatlicher Ölkonzern, Tochter der Gazprom). Weitere russische Symbole sind ebenfalls Teil des Alltags. Die Ukrainische Fahne und Staatssymbole werden fast ausschließlich von Botschaften anderer Europäischer Länder gehisst und als Zeichen der Solidarität verwendet. Verschiedene Ecken des breiten politischen Spektrums in Serbien verstehen Russland als ein Brudervolk. Gleichzeitig ist Serbien in Russland erst relevant geworden, als Belgrad und Istanbul die einzigen europäischen Städte geworden sind, die man von Moskau aus anfliegen konnte.

Serbien profitiert von dem Krieg. Sanktionen gegen Russland werden in der EU immer mehr, während Serbien seine Bürger:innen guter Dinge mit akzeptablen Energiepreisen und der Hoffnung auf einen Wirtschaftsaufschwung zufrieden halten will. Etwa 4.000 Firmen haben sich seit Kriegsbeginn in Serbien neuangesiedelt, die meisten davon gegründet von russischen Staatsangehörigen oder Unternehmen. Immobilienpreise in Belgrad sind um 38% gestiegen. Russlands Rolle in Serbien wird immer sichtbarer, doch umgekehrt spielt Serbien für die russische Wirtschafts- und Energiepolitik erst jetzt überhaupt eine Rolle. Für Serbien war Russland immer eine gute Rückfalloption, wenn es um die serbische Kosovo-Frage gehen sollte, da Russland stets in allen internationalen Organisationen und vor allem den Vereinten Nationen, den Betritt Kosovos stets mit einem Veto blockiert hat. So spielt Russland die Rolle des Beschützers serbischer Nostalgie über die vergangene Zeit Jugoslawiens. Anderseits möchte die serbische Diplomatie jedoch seine Beziehung zur EU nicht riskieren und schloss sich der Verurteilung des Angriffskrieges bei den Vereinten Nationen an. Auch den Resolutionen gegen Russland schloss sich Serbien an. Serbien unterhält weiterhin diplomatische Beziehungen zur Ukraine und hat nach mehreren Anläufen humanitäre Hilfe in das Land geschickt und trotzdem ist innenpolitisch weiterhin von guten Beziehungen zu Russland die Rede.

Fotos aus dem Supermarkt Svetofor, der dieses Jahr in Serbien eröffnet wurde und Lebensmittel aus Russland verkauft. Die Zielgruppe ist dabei nicht eine eventuelle russischsprachige Diaspora, sondern vor allem die einheimische Bevölkerung. Die Verpackungen vieler Lebensmittel sind dabei aber nicht ins Serbische übersetzt und viele Preisschilder sind auf Englisch. Auch die Inneneinrichtung ähnelt eher einer Lagerhalle für Tiefkühlware.

Spreche ich in meinem Alltag mit Serb:innen, zeigen selbst jene, die pro-russisch gesinnt sind, Mitgefühl mit Ukrainer:innen als Opfer von einem aggressiven Invasionskrieg. Kein Mitgefühl gibt es dabei für die ukrainische Regierung. Zu stark haben sich die Verschwörungsmythen, der Antisemitismus, das Anti-Westliche-Sentiment und weitere Ideologien ausgebreitet. Serbien kämpft seit gut einem Jahrzehnt gegen zunehmende Medienüberwachung seitens der Regierung und leidet jetzt unter den Folgen der dahinschwindenden Pressefreiheit. Am Ende bleibt es das einzige Land Europas, das gern auf beiden Hochzeiten tanzen würde – in enger Nostalgie-Freundschaft mit Russland und in die Zukunft blickend mit der EU.


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Titelbild © Stefan Radaković für osTraum
Supermarktfotos © Emilija Gagrčin für osTraum
Informer © Informer

Ein Kommentar

  1. rotherbaron

    Vielen Dank für diesen überaus interessanten und informativen Text. Das Beschriebene ist sehr problematisch für die EU… und leider verfängt die Kreml-Propaganda zum Teil auch in Deutschland.

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