Wie war es beim EuroPride 2022 in Belgrad?

Vom 12. bis zum 18. September hatte Belgrad die Ehre, als erste Stadt in Südosteuropa Gastgeber der diesjährigen EuroPride zu sein. Die EuroPride ist ein Titel, der jährlich an eine Pride in Europa vergeben wird. Dieses Jahr an die serbische NGO “Belgrade Pride”. Während die Vorbereitungen bereits seit 2019 laufen, als sich Belgrad in einer Stichwahl gegen Barcelona durchgesetzt hat, ist die internationale Aufmerksamkeit erst richtig durch das Verbot der Pride geweckt worden. Was ist also schlussendlich passiert?

Am 27. August kündigt der serbische Präsident Vučić eine Absage der EuroPride in Belgrad an. Zu diesem
Zeitpunkt wächst der Druck auf den obersten Staatsmann, da sich rechte Gruppierungen jeden zweiten Sonntag zu Protesten versammelten und ihre Unzufriedenheit mit der bevorstehenden Durchführung der Pride ausdrückten. Am selben Tag unterzeichnen Serbien und Kosovo ein Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Reisepässen und Personalausweisen. Ein Schritt der serbischen Regierung, der von dem Verbot der EuroPride überdeckt wurde. Doch offiziell kann der Präsident gar kein Verbot der EuroPride erteilen. Dies muss das Innenministerium tun, welches für die Polizeipräsens und Sicherheit zuständig ist. Die Organisator*innen von Belgrade Pride betonten, dass ein solches Verbot verfassungswidrig wäre, wie auch einem Urteil des Verfassungsgerichts aus 2013 zu entnehmen ist. Demnach sind Verbote von Prides als verfassungswidrig einzustufen. In jedem Fall galt die Parole: Verboten oder nicht – am 17.09. um 17:00 wird man*frau auf die Straße gehen und für die eigenen Rechte einstehen. Der Druck auf die Regierung stieg daraufhin an. In aktivistischen Kreisen gab es keine Zweifel, dass die EuroPride stattfinden wird, auch unter ausreichendem Polizeischutz, da die Regierung sich bewusst war, dass ein Protest am 17.09. nicht mehr zu verhindern sei. Was folgte, war ein kalkulierter Drahtseilakt.

Foto: Joel Kraus

Am 13.09. – vier Tage vor der Pride – und eine Stunde vor Fristablauf, sprach das Innenministerium ein offizielles Verbot der EuroPride sowie der Gegendemonstration aus. Wenige Stunden später sprach die serbische Premierministerin, Ana Brnabić, bei der Human Rights Conference und wurde von Protesten und einem stundenlangen Buhen begrüßt. Brnabić gilt als kontroverse Figur, da sie als lesbische Premierministerin kaum für eine Verbesserung von LGBTIQ*Rechten in Serbien einstand oder sonstige Legislatur voranbrachte. Hingegen war es ihre Unterschrift, mit welcher die Regierung 2019 die Kandidatur von Belgrade Pride unterstützte.

Foto: Die osTräumer Stefan Radaković & Erik Jödicke (rechts) mit der serbischen Ministerin für Minderheiten Gordana Čomić während der Pride Woche in Belgrad. Quelle: Erik Jödicke auf Instagram

Um die Zeit des Pride-Verbots stimmte das serbische Parlament über die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Kosovo ab. Der Vorschlag wurde angenommen. Gleichzeitig wurde eine Militärparade am 17.09. vorbereitet, mit der Generalprobe am 16.09.22. Auch ein Red Bull Event sollte zu der Zeit stattfinden und die Innenstadt zusammen mit der Militärparade für die Dauer des ursprünglichen Pride-Wochenendes für sich beanspruchen. Am Abend des 17.09. fand neben dem EuroPride-Konzert auch ein Techno Event statt. Man*frau könnte meinen, dass all diese Veranstaltungen gleichzeitig gelegt wurden, um von der Pride und den innenpolitischen Spannungen im Land abzulenken. Das Pride-Verbot legte aber andere Veranstaltungen im Rahmen der EuroPride nicht lahm. Der Pride Park, in welchem die Konzerte am 16. und 17.09. stattfanden, wurden schon im Vorfeld in ein Stadion verlegt, um zu verhindern, dass die Regierung einen weiteren öffentlichen Platz für die Versammlung sperrt. Das neue Stadion spielte eine wichtige Rolle im Verbot, da die Organisator*innen, nachdem das Innenministerium die Beschwerde gegen das Verbot abgelehnt hat, eine neue Route beantragt hat. Was folgte, war ein juristisches Wirrwarr.

Die Regierung bestätige, wenn auch nicht öffentlich, dass die EuroPride mit der neuen, deutlich gekürzten Route, stattfinden darf. Offiziell jedoch stufte das Innenministerium die neue Route als “Begleitung zum Stadion” ein. Hiermit ist auch nach serbischen Recht klar: Die EuroPride hat nie stattgefunden, lediglich wurden die Teilnehmer*innen zum EuroPride Konzert begleitet. Am Tag der EuroPride kamen 5.200 Polizist*innen zum Einsatz, die genaue Anzahl der Pride-Teilnehmer*innen ist unbekannt, schwankt aber zwischen 1.000 und 10.000 Menschen. Es kam dabei auch zu Vorfällen bei den polizeilichen Kontrollpunkten. Ab der ersten Polizeibarriere wurde der Straßenverkehr eingestellt, ab der zweiten der Fußgängerverkehr und hinter der dritten fand die EuroPride statt. Die Pride an sich verlief friedlich, hinterließ jedoch einen bitteren Nachgeschmack. Im Nachgang zur Pride gab es mehrere gewaltsame Angriffe auf Aktivist*innen – albanische und deutsche Staatsangehörige. Einige mussten hospitalisiert werden.

Für die serbische LGBTIQ*Community ist die Pride eine Niederlage im rechtlichen Sinne, da sie rechtlich nie stattgefunden hat. Das Pride-Verbot wurde von der Regierung erfolgreich durchgesetzt. Die Gerichte müssen noch entscheiden, ob das Verbot zulässig bzw. verfassungswidrig war. Die individuelle Situation vieler in der Community hat sich verschlechtert. NGOs berichten von einer höheren Anzahl an Vorfällen häuslicher Gewalt, die Stimmung in der Bevölkerung ist aggressiver, und die LGBTIQ*Community muss als Opfer für innenpolitisches Versagen hinhalten. Hinzu kommt die allgemeine Unzufriedenheit mit Belgrade Pride als Organisation, da im Vorfeld der EuroPride mehrere Skandale die beiden Organisatoren plagten. Dazu gehörten Vorwürfe der Bestechlichkeit im Bezug auf den Verkauf von Konzertkarten, welcher dann aufgrund starker Kritik aus der Community eingestellt wurde, sowie Vorwürfe, dass Einstellungen über Vitamin B vorgenommen wurden. Anschuldigungen seitens Belgrade Pride wurden öffentlich in Pressestatements auf Instagram Live übertragen, in welchen die Organisation einzelne Influencer*innen persönlich attackierte, transphobe Statements und einen vertraulich zu behandelnden Suizidversuch öffentlich machte.

Foto: Joel Kraus

Die Europäische Gemeinschaft feiert dabei die EuroPride 2022 als einen Erfolg. In vielerlei Hinsicht, weil die Messlatte sehr niedrig lag. Die EuroPride war insofern ein Erfolg, als das sie faktisch stattgefunden hat, da nach dem Verbot man sich mit irgendeiner Form einer öffentlichen Veranstaltung auf den Straßen Belgrads zufrieden gegeben hat. Dass sich die serbische LGBTIQ*Community nur für eine Woche gesehen gefühlt hat, sich nicht auf lokale NGOs verlassen kann und von der Regierung immer noch nicht gesehen und akzeptiert wird, scheint ein wenig unter den Teppich gekehrt zu sein. Während man*frau die serbische Regierung in Brüssel für die Pride lobt, ist das Verbot gesetzlich immer noch in Kraft. Während Belgrade Pride immer noch für ihren Einsatz gelobt wird, hat sich niemand bei den angegriffenen Influencer*innen entschuldigt. Während häusliche Gewalt in Serbien zunimmt, reisen internationale Aktivist*innen am Flughafen Nikola Tesla in Belgrad ab. Ohne die EuroPride hätte man*frau jedoch all diese Probleme nie gesehen.


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Titelfoto © Joel Kraus

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