Am 21. Februar hielt Vladimir Putin eine Rede, die selbst sogenannte “Russland-Versteher:innen” innehalten ließ. Fast eine Stunde lang legte der Präsident der Russischen Föderation obsessiv seine Interpretation diverser historischer “Fakten” dar, in einem ausgesprochen aggressiven Tonfall. Dabei handelte es sich vielmehr um wilde Verzerrungen und gar Verkehrungen historischer Tatsachen: Die Ukraine sei eigentlich eine Erfindung Lenins und habe überhaupt nie über eine eigene Staatlichkeit verfügt; sie sei zu einer korrupten Kolonie des Westens verkommen und wolle einen Krieg gegen Russland anzetteln. Wahr ist: Kyiv war vor rund 1000 Jahren Hauptstadt des ersten ostslawischen Staatsgebildes, der Kyiver Rus’, und könnte damit als die Wiege sowohl der heutigen Belarus:innen, als auch der Ukrainer:innen oder Russ:innen bezeichnet werden. Im Laufe von 1000 Jahren Geschichte hat sich nun einmal einiges ereignet und es sind ostslawische Kulturen und Sprachen entstanden, die nicht einfach, wie Putin naiverweise meint, unter der Kategorie Russland subsumiert werden können. Am Ende seiner “Geschichtsstunde” erklärt der Präsident die “Volksrepubliken” Donetsk und Lugansk zu unabhängigen Staaten: Der erste Schritt, um nun auch offiziell die russische Armee in diese Gebiete, die völkerrechtlich ukrainisches Territorium darstellen, einmarschieren zu lassen und die bereits seit 2014 andauernde bewaffnete Auseinandersetzung zwischen ukrainischen Truppen und von Russland unterstützten Separatisten in der Ostukraine auszuweiten.
Derweil in der Modewelt: Die 25. ukrainische Fashion-Week, die Anfang Februar in Kyiv stattfand, war stets von einer Drohkulisse eines kommenden russischen Angriffs begleitet. Doch Designer:innen und Kreative in der Ukraine wollten sich nicht beirren oder einschüchtern lassen. “Keine Angst vor Putin” und “jetzt erst recht” schienen ihre Losungen zu sein. Die Reaktionen von bekannten ukrainischen Designer:innen und Labels auf die Rede Putins am 21. Februar legten dieselbe selbstbewusste Haltung an den Tag. Fashion ist nicht zwangsweise eitel. Ebenso wie andere Kunstformen kann Fashion auch mutig, politisch und solidarisch sein. Bei den hier vorgestellten Reaktionen handelt es sich um weitaus mehr als bloße Verkaufsstrategien – denn dafür wirken sie zu aufrichtig.
Bevza
Das 2006 von der Designerin Svitlana Bevza gegründete Kyiver Modelabel postete unmittelbar nach Putins Rede ein Foto mit zwei schiffchen-förmigen Handtaschen in den ukrainischen Nationalfarben und kommentierte das Foto knapp, aber entschlossen: “The seas submit themselves only to the brave.”

Bevzas Designs zeichnen sich durch Minimalismus einerseits und Rückbesinnung auf ukrainische Symbolik andererseits aus. Auf der Homepage des Labels liest man: “Exploring the national heritage the founder and creative director Svitlana Bevza carries out a delicate work with ethnic symbols and cultural codes and reimagines them in a modern way.”
Ksenia Schnaider
Das international erfolgreiche ukrainische Modelabel Ksenia Schnaider veröffentlichte am Tag nach Putins Rede folgenden Post:

Auf dem Foto sind die Gründer:innen des Labels zu sehen: das Ehepaar Ksenia und Anton Schnaider. Ksenia ist laut Selbstbeschreibung ukrainische Modedesignerin, Anton russischer Grafikdesigner. Bereits seit 2011 gibt es die Marke, der internationalen Erfolg kam dann 2016 mit den sogenannten “Demi Denims”: Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Jeans und Shorts, die aus alten Vintage-Jeans hergestellt wird. Hier ein Modell aus der aktuellen Kollektion von der offiziellen Website:
Die Marke führt auch Unisex- und Männerbekleidung. Ein weiterer kreativer Hit ist die Corruption-Linie des Design-Duos:
Die Corruption-Designs erinnern an ein konzeptuelles Kunstwerk. Ja, Korruption ist leider immer noch in vielen Sphären, so auch im post-sowjetischen Raum und in der Modewelt, ein weit verbreitetes Phänomen – und das Label spricht das Problem mit diesen Mode-Kunstwerken offen und zynisch an:
Ksenia Schnaider beruft sich auf die eigene Familien-Vergangenheit als Inspirationsquelle: Kleidungsstücke der Marke sollen “gepflegt werden und von Generation zu Generation weitergereicht werden, wie in der Sowjetunion.“ Nachhaltigkeit und Reginalität werden großgeschrieben – alle Designs werden in der Ukraine hergestellt und dabei häufig aus alten Kleidungsstücken, insbesondere alten Jeans, zusammengenäht.
HVOYA
DAS Kyiver Label mit Schuhen und Taschen “Made in Ukraine”, das Minimalismus und ausgefallenes Design vereint. “Normale” Schuhe findet man hier kaum, meist handelt es sich entweder um “Square-Toe”-Modelle (“als ob man die Schuhe vorne abgeschnitten hätte”) oder um überlange Spitzen, oft kommen ungewöhnliche Animal Prints und Fakturen zum Einsatz:

Ein anderes Signature Piece der Marke, die für geometriche und zugleich ungewöhnliche Designs “im Stile der 1980er und 1990er” steht, ist das sogenannte Wine Bag, eine Tasche, die auf den Transport von Weinflaschen zugeschnitten ist:

Am Tag nach Putins Rede veröffentlichte HVOYA folgenden Post:

“Wir halten durch und sind vereint. Wir sind mit der Ukraine!”
Quelle des Titelbilds: https://www.instagram.com/p/CaSLFySob2I/
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Screenshot in der Titelgrafik © Ukrainian Fashion Week