Text: Maria Reiswich (& Aleksej Tikhonov)
Tatarische Geschichte und Kultur sind sagenumwogen. Ein Fehler der Geschichtsschreibung oder vielleicht auch christliche Propaganda aus dem Mittelalter haben es zu verantworten, dass die Tatar*innen bis heute von vielen Menschen in Russland und außerhalb mit der sogenannten Tataro-Mongolischen Invasion (ru.: Татаро-Монгольское Иго) von Dschingis Khan im 13. Jahrhundert assoziiert werden. Dabei waren die Tatar*innen unter den ersten Opfern der mongolischen Kriegshandlungen, in denen die Mongolen bis nach Ungarn vorgedrungen sind. Heute sind Tatar*innen über die ganze Welt verteilt. Die Meisten (über 5 Mio. Menschen) leben in der Russischen Föderation, hunderte Tausend in Kasachstan, Usbekistan und der Ukraine, einige auch in Polen oder Finnland. Zuletzt sind vor allem die Krim-Tataren in den Medien präsent, weil russische Machtorgane auf der Krim zahlreiche Tatar*innen verhaften ließen und ihnen Planung von islamistischen Terroranschlägen und Regierungssturz vorwerfen. So ist die Halbinsel nicht nur ein ukrainisch-russisches Konfliktterritorium, sondern auch ein tatarisch-russisches, obwohl die Tatar*innen seit fast 600 Jahren auf dem Gebiet leben. In Russland selbst entfaltet sich die tatarische Kultur vor allem in der Republik Tatarstan und ihrer Hauptstadt Kazan. In den letzten Jahren werden tatarische Stimmen außerhalb Tatarstans lauter und einige Künstler*innen feiern auch internationalen Erfolg. osTraum stellt euch die 7 Tracks im tatarischen Rap und Hip Hop vor.
7. Ittifaq
Sie gelten als die Begründer*innen des tatarischen Hip-Hops – Iljas, Nazim, Ilham und Albina, bekannt als Rap-Band Ittifaq (de.: Einheit). Die vier haben zusammen studiert und fingen 2005 mit Musik an. In ihren Texten geht es um Gefühle, Alltag und soziale Probleme. Heute sind viele ihrer Tracks großartige Features mit Vertreter*innen der Kazaner Musikszene. Und weil sie es sich zur Aufgabe gemacht haben, die tatarische Rap-Szene auszubauen und aufzumischen, gründeten sie 2012 auch gleich das Label Yummy Music. In ihrem Lied „Җылы якларга“ beweisen sie gemeinsam mit dem Kazaner Sänger und Gitarristen Mubai, dass sie es verstanden haben mit traditionellem tatarischen Sound feinsten R’n’B zu produzieren.
6. Shakur Ali
Es geht nicht um Tupac Amaru Shakur, aber ebenfalls um eine Legende. Ein Original des tatarischen Oldschoolraps ist Shakur Ali. Dabei hat er eigentlich seine Karriere damit gestartet, seine Reime in russischer Sprache aufzuschreiben. Bei einer Aufnahme parodiert Shakur ein tatarisches Lied, indem er es auf den Takt eines laufenden Beats einrappt. Als sein Produzent davon Wind bekommt, ermutigt er ihn eigene Texte auf Tatarisch zu schreiben und zu performen. Mit der Legende Ilham Shakirov holt er sich sein Sample „Бик еракта идек“ live auf die Bühne. Der Mix aus traditionellem Sound mit den tatarischem Rap ist ein Beispiel für die Anfänge der alternativen Sparte tatarischer Kultur.
5. #SHIKERNYE
Mit diesen Künstlern verlassen wir die alte Schule und betreten nun die YouTube-Era. Das Duo #SHIKERNYE ist bekannt für aufwendig gescriptete Videos, Spaßenrap und Parodien. Inhaltlich bewegen sich die beiden irgendwo zwischen Selbstironie und Gesellschaftskritik. Die Flows sitzen. Sowohl Clips als auch Tracks sind sauber produziert. So haben sie 2016 auch den ersten Trap-Track auf Tatarisch produziert. In „ҖОН НОСКИ“ geht es aber nicht um Drogen, Autos oder teure Marken. #SHIKERNYE schreiben eine Hymne für gestrickte Wollsocken und erklären diese als das einzig ehrliche Modeaccessoire, welches sich gut tragen lässt.
4. Radif Kashapov
Radif Kashapov ist mit seiner Band qaynar (de.: heiß) unterwegs und einer der neueren Künstler:innen die unter dem Ittifaq-Label Yummy Music gesignet sind. Seine Instrumentals sind schon ein bisschen frischer, aber immer noch experimentell. Kashapov ist generell offen für Stilbrüche und schöpft sein Talent genreübergreifend aus. Mal begleitet er sich selbst auf der Gitarre, während er Soft-Rockig singt und dann wiederum finden sich Elektro-Pop oder Trip-Hop in seiner Diskografie. Eins ist nicht zu übersehen, die Band hat Spaß bei dem, was sie macht. Und klar – eine Jamsession im Bus darf nicht fehlen.
3. Said Olur
Auch Said Olur ist einer aus dem Hause Yummy Music. Mit seinem Sound bringt er die ersten Trap-Einflüsse in das Label, doch wie nicht anders erwartet bei einem Member der Yummy Family, bleibt es keinesfalls ausschließlich bei Trap. Er singt, er schreit und er murmelt, bevor er wieder in den gewohnten Flow übergeht. Said Olur ist ein Multitalent und „Minem Uram Batr“ sollte ein guter Begleiter für den nächsten lauwarmen Abend in der Kazaner Innenstadt sein.
2. Tatarka
Sie ist unser viraler Superstar. Ihr Video “АЛТЫН/ALTYN” für und mit dem Global Tech Player Samsung hat über 51 Mio. Aufrufe. Mit ihr hat der tatarische Rap, der sich in Kazan bereits etablierte, die lokale Kulturszene verlassen und ist direkt in die Ohren von Nicht-Tataren gelangt. Sie ist die streamingstärkste und demnach erfolgreichste Rapper*in aus dem (Kultur-)Raum. Damit erklärt Tatarka das tatarische Rapgame zum Matriarchat. Mit „BOYS & GIRLS“ hat sie jüngst ihre Komfortzone verlassen und wir können gespannt sein, ob sie sich weiter in die Richtung House entwickeln wird oder bei Rap bleibt. Aus Gründen der Nostalgie zeigen wir euch hier das Video zu ihrem Song „AU“ (de.: Jagd), für dessen Dreh sie extra nach Usbekistan gereist ist.
1. AIGEL
Von Anfang an arbeitet die Band AIGEL mit namhaften Regisseur*innen und Schauspieler*innen zusammen. So ist es keine große Überraschung, dass ihr Video „You’re Born“ den silbernen Preis des Internationalen Cannes Lions Festivals erhalten hat. Benannt nach der Frontfrau Aigel Gaisina, hat sich die Band aus einer Not, gar Aktivismus, zusammengeschlossen. Das erste Album, dem auch der virale Hit „Tatarin“ (über 70 Mio. Views) entsprungen ist, beschäftigt sich mit der ungerechten Inhaftierung des Ehepartners Gaisinas. Das Lied „1190“ ist die Zahl der Tagessätze des ihm verhängten Strafmaßes.
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Bild im Titel-Visual: Deezer
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