Prager Transgas: #SOSBrutalism oder das Ende eines Denkmals

Transgas war lange ein charakteristisches Gebäude im Zentrum Prags. In der Vinohradská-Straße – zwischen dem ehemaligen Gebäude der Nationalversammlung und dem Prager Hauptbahnhof – zog es oft Blicke auf sich. Ein Riese aus Stahl, Beton und Glas. Er schaute von oben auf die Gleise ahnend, dass er nicht lange leben wird. In seiner Fassade spiegelte sich die Sonne.

Dokumentation des Transgas-Komplexes (2017)

Das Gebäude war ein Beispiel für die in den 1970er Jahren aufkommende High-Tech-Architektur mit Elementen des Brutalismus. Benannt wurde das Bauwerk nach der sowjetischen Gaspipeline, die aus Russland über die Ukraine, Slowakei und Tschechien nach Deutschland verlief.

Der Transgas-Gebäudekomplex von der Vinohradská aus. Foto: Hans-Jürgen Müller

Von Ivo Loos und Jindřich Malátek in Zusammenarbeit mit Jiří Eisenreich und Václav Aulický entwickelt, eröffnete das Gebäude 1978 seine Türen. Nach dem Fall der Sowjetunion ging es an die Tschechoslowakische Republik über. Daraus wurde ein Autohaus. 2001 privatisiert, landete es 2011 auf dem Immobilienmarkt. 2014 kaufte es das luxemburgische Immobilienunternehmen HB Reavis. Einer seiner führenden Köpfe der Firma ist der slowakische Milliardär Ivan Chrenko. Ivan Chrenko wurde (offiziell) mit Elektroinstallationsarbeiten in der Slowakei der 1990er Jahre zum reichsten Mann des Landes. 2016 wurde schließlich der Abriss des Gebäudes angekündigt. Ein Jahr zuvor schlug der Verein für das alte Prag (č.: Klub Za starou Prahu) vor, das Gebäude als Denkmal zu schützen. HB Reavis und die Stadtverwaltung meinten aber, Transgas störe die Umgebung und beeinträchtige die Anwohner*innen.

Für einen der Väter des Gebäudes – Václav Aulický – war der Abriss eine Tragödie. Er verglich die Zerstörung mit dem „Verlust eines Kindes“. Unter den beteiligten Architekten war Aulický der Einzige, der sich für den Erhalt des Bauwerks einsetzte. Übrigens ist er auch einer der Väter des Prager Fernsehturms in Žižkov. Im Februar 2019 begann der Abriss. Durch lange Vorbereitungsarbeiten haben Liebhaber*innen des Gebäudes bis zuletzt Hoffnung geschöpft, es könnte doch noch erhalten werden. Doch die Hoffnung starb.

Der Besitzer – HB Reavis – verspricht auf seiner Website „stressfreie Arbeitsplätze“ und „Offenheit für Veränderung und Inspiration“. Das ursprünglich slowakische Unternehmen ist einer der größten Büroflächenanbieter Europas und ist ein Analog zur deutschen Treuhandanstalt. Die Firmenstrategie in mittel- & osteuropäischen Ländern ist fast immer gleich: Flächen und Grundstücke werden gekauft, Gebäude entfernt, Bürokomplexe errichtet und verkauft, sobald Spitzenpreise erzielt werden. Käufer sind dabei meistens ausländische Unternehmen.

Für das neue Gebäude hat HB Reavis den tschechischen Architekten Jakub Cigler beauftragt – kein Unbekannter für Prag (Stichwort: Neugestaltung des Wenzelsplatzes). 2021 sollte ein Bürogebäude nach seinem Entwurf auf dem Gelände entstehen. Mittlerweile gibt es aber auch potentielle Käufer für das Grundstück, deren Pläne noch unklar sind.

Im Februar 2019 kamen bis zu 200 Demonstrant*innen vor dem Komplex zusammen. Durch die Initiative SOS Transgas kam auch der Architekt Václav Aulický zur Protestaktion, die von einem Applaus für die Architekten begleitet wurde. Aulický wirkte auch an dem Film „Requiem za Transgas“ von Jakub Panovský mit:

Die Demonstrant*innen kritisierten, der Abriss soll auf Grundlage einer Stellungnahme eines Privatinvestors genehmigt worden sein und die Meinungen von Expert*innen wurden ignoriert. Der scheidende Kulturminister Daniel Herman verhinderte den Erhalt maßgeblich. Eine Petition dagegen blieb erfolglos. Die Stadt Prag versuchte in letzter Minute zu verhandeln, doch HB Reavis forderte einen zu hohen Preis.

Das Schicksal von Transgas ist kein Einzelfall. Oft wird brutalistische Architektur negativ aufgefasst. Gerade junge Architekt*innen, Kunsthistoriker*innen und Kreative begeistern sich heute wieder für den Architekturstil. In den Social Media und bei vielen Verlagen gibt es einen regelrechten Brutalismus-Trend, inkl. Plattenbauten und Architektur aus der Nachkriegszeit. Unter dem Hashtag #SOSBrutalism findet sich eine Rettungskampagne für eine Neubewertung brutalistischer Gebäude. Die Initiative berichtete auch über Transgas

Transgas stand symbolisch für die Vereinigung von Ost und West, doch im 21. Jahrhundert wurde ihm eine kommunistische Bedeutung zugeschrieben. Für die Architekt*innen und Designer*innen der Bauten lagen die Inspirationsquellen oft im Westen. Der Brutalismus entwickelte sich in den 1950ern vor allem in Großbritannien, während die High-Tech-Architektur eng mit der Chicagoer Schule verbunden ist. Der soziale Gedanke der Bauweise fand zwar auch in der Sowjetunion und in den Staaten des Warschauer Paktes Anklang, allerdings bezeichnete Alois Indra, ein Sprecher der Kommunistischen Partei der damaligen Tschechoslowakei, Transgas als typisch nicht-sozialistische, westliche Architektur. 

Ein besonderer Protest fand am 20.02.2017 statt. Der Transgas-Komplex wurde von der Guerilla-Künstlergruppe Bolt 958 in rötlichen Rauch aus Panzerabwehr-Rauchgranaten gehüllt. Eine Metapher für den Rauch der Triebwerke. Die Gruppe nutzt ein militärisches Medium, dass den Feind, in diesem Fall HB Reavis und Ivan Chrenko, symbolisch abwehren soll. Mit ihrem Transgas-Protest schafften sie es sogar in das tschechische Analog der „Bild“ Zeitung, Blesk

Auch die Transgas-Pipeline, die zum Bau des Komplexes führte, soll 2019 vom Netz genommen und durch die Pipeline „Nord Stream 2“ durch die Ostsee ersetzt werden. Transgas war eines von vielen Beispielen für innovative, einzigartige Architektur aus den 70er Jahren. Seine verspiegelte Glasfassade, die offenliegende Stahlkonstruktion sowie die kleinen, dunklen Steine des zentralen Blocks verschwinden aus dem Prager Stadtbild. Was bleibt ist die Frage, wie in Zukunft mit diesen Bauten umgegangen wird. Das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien wurde durch Hashtags, Postings und Demonstrationen geweckt, nun werden Lösungen benötigt. 

Für Transgas heißt es an dieser Stelle nach einem langen Kampf „Na shledanou!“ (č.: Auf Wiedersehen!). Die Künstlergruppe Bolt 958 meint:

Vielleicht sieht man sich auf einem Planeten wieder, auf dem gute Architektur geschätzt wird, und der Sci-Fi-Look des Gebäudes kein Problem ist.


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