Lwiw, Lemberg, Lwow – diese Stadt im fernen Westen der Ukraine hat viele Namen und genauso viele Gesichter. Seit seiner Gründung vor mehr als 760 Jahren war Lwiw Teil von zahlreichen Königreichen, Monarchien und Republiken. Hier findet man katholische Kathedralen und orthodoxe Kirchen, armenische und jüdische Viertel, Wiener Kaffeehäuser, sowjetische “Stolowkas” und BDSM Bars. Mit diesen Informationen im Hinterkopf buche ich mir ein Flugticket nach Lwiw für das Osterwochenende. Zeit zum Entdecken!
Am Karfreitag Nachmittag lande ich im Flughafen Lwiw. Die Sonne scheint, der Himmel ist wolkenlos. Ein kleiner schweigsamer Taxifahrer bringt mich durch die gepflasterten Straßen zu meiner Unterkunft. Das alte Auto schüttelt hin und her den vorbeirasenden Lastwagen, Bussen und Straßenbahnen entgegen; dabei wird viel Lärm und Staub erzeugt – ich frage mich, ob wir mein Ziel unverletzt und in einem Stück erreichen werden, aber die souveräne, nüchterne Art und Weise des Fahrers beruhigt mich.
Zwanzig Minuten und 200 Griwnas später steige ich aus – meine Bleibe befindet sich in einem etwas abgelegenen Gebiet, zwischen einer verlassenen Marmeladenfabrik und einer Vodka-Destillerie. Na ja. Ich sehe das als eine Gelegenheit, die Stadt abseits der touristischen Sehenswürdigkeiten zu entdecken und die unfiltrierte lokale Charme zu genießen. So far, so good!
Essen in Lwiw
Aber zuerst – das Mittagessen! Die Essenskultur in Lwiw ist sagenhaft – und das zu Recht. Viele lokale Cafes und Restaurants sind bereits zu den Hauptattraktionen der Stadt geworden. Dazu zählt beispielsweise das Restaurant Kryivka, wo man in der Ambiente der westukrainischen Partisanenbewegung deftige ukrainische Küche erleben kann. Das Lokal befindet sich in einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, den man nur mit Passwort “Slawa Ukraine!” (“Hoch lebe Ukraine!”) betreten darf. Eine Alternative bietet das bekannte Baczewski Restaurant: seine Mission ist, die lokalen Traditionen, die bunte regionale Küche und die lebensfrohe Atmosphäre von Lwiw Anfang des 20. Jahrhunderts aufleben zu lassen. Antike Möbel, Live-Musik, Champagne und Foie gras – hier kann man für vergleichsweise wenig Geld seine aristokratischen Träume verwirklichen.
Ich bin nicht besonders abenteuerlich wenn es um das Essen geht, daher gehe ich zu Cafe Druzi – ein cooles entspanntes Lokal, das man hätte ruhig auch irgendwo in Kreuzberg oder Friedrichshain finden können. Die Speisekarte ist eine Mischung aus modern und traditionell. Meine Wahl fällt auf ukrainische Kartoffelpuffer oder Deruny, mit cremiger Pilzsauce. Das Urteil: kann ich nur empfehlen. Sie sind fast genau so gut wie die Draniki (so nennt man diese Speise in Belarus) meiner Großmutter, und das soll was heißen!
Kaffee-Kult
Eine Sache, die man in Lwiw wirklich ernst nimmt: Kaffee. Laut einer Legende, hat im 17. Jahrhundert ein schlauer Geschäftsmann aus dem Lwiw Gebiet namens Georg Franz Kolschitzky das allererste Wiener Kaffeehaus Zur Blauen Flasche eröffnet und somit den Europäern das Kaffeetrinken beigebracht. Jedenfalls rühmen sich heutzutage die Einheimische ihrer Kaffeetraditionen. “Ohne Kaffee kein Spaß” [Без кави нема забави], sagt man in Lwiw.
Die Stadt hat übrigens die größte Anzahl von Cafés pro Bewohner*in in der gesamten Ukraine: in der Tat findet man hier in jeder Ecke ein kleines gemütliches Kaffeehaus oder gar eine ganze Kaffeemanufaktur. Zu einer Tasse (oder Filizhanka [Філіжанка], wie man sie hier nennt) Kaffee gehört auch unbedingt ein Stück Lwiwer Syrnik – quasi ein Käsekuchen Lemberger Art und das beliebteste Dessert in der Stadt. Für die schicke Wiener-Kaffeehaus-Ambiente sollte man zu Cafe Atlas gehen; für das richtig moderne Hipster-Kaffeeerlebnis – zu Black Honey oder Alternative Coffee. Richtig gemütlich ist es im Cafe Fresca und im Kult-Lokal Virmenka.
Durch den Abend
Am Abend melde ich mich für einen kostenlosen Stadtrundgang mit dem verführerischen Namen “Night Lviv” an. Außer mir finden sich noch drei Interessenten – zusammen folgen wir dem enthusiastischen Stadtführer namens Bogdan, der uns mit lokalen Legenden und Anekdoten bespaßt. Laut einer, besuchte 1776 der berüchtigte italienische Womanizer und Abenteurer Giacomo Casanova die Stadt, um später in seinen Reisenotizen zu behaupten, die Frauen in diesen Gebieten seien nicht schön. Trotz dieser wenig schmeichelhaften Beschreibung ist das Haus, wo der gute Mann gewohnt haben soll, mit einer Gedenktafel gekennzeichnet. Heute befindet sich dort ein gleichnamiges Striplokal.
Genug Obszönitäten! Wir sind nun auf dem Sobornaja Platz mit dem grandiosen Bernhardinerkloster, welches bereits im 15. Jahrhundert als eine Befestigungsanlage gebaut wurde, umschlossen von einem Graben. Von außen sieht es etwas düster aus. Drinnen befindet sich die griechisch-katholische Kirche mit einem ziemlich beeindruckenden Interieur: Marmorboden, prächtige Fresken und Holzaltären aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
In der Nähe des Klosters wurde übrigens der absolute Klassiker der sowjetischen Kinematografie gedreht, nämlich der beliebte Musikfilm “D’Artagnan und die Drei Musketiere” (1978), mit Michail Bojarski in Hauptrolle als D’Artagnan (der Schauspieler und Sänger ist bekannt für seinen charakteristischen Hut und Schnurrbart-Look, was ihn natürlich zu einem beliebten Meme-Held macht).
Unser nächstes Ziel ist Hohes Schloßberg. Wie ich auf dem Weg erfahre, findet man dort allerdings kein Schloss, sondern einen Park mit einer Aussichtsplattform, die auf der Höhe von etwa 400 Meter über die Meeresebene liegt. Der Blick auf die Stadt ist wirklich atemberaubend – besonders bei Sonnenuntergang.
Im Südosten vom Schloßberg liegt der sogenannte Lysa Hora (Kahler Berg) – bis heute der beliebte Ort des Hexensabbats, behauptet Bogdan. Im Licht des Vollmondes klingt das gar nicht unwahrscheinlich…
Alle Fotos © Darya Kulinka