14th District in Slawutytsch: Interview mit METASITU

Eine Stadt am Rande des fallenden Imperiums. Eine Stadt mitten in der Katastrophe, deren Ausmaß wir immer noch nicht im vollen Umfang begreifen können. Slawutysch in der Ukraine entstand buchstäblich an der Ruine, aber existiert auch nur dank dieser Ruine. Welche Zukunft hat die Stadt nahe Tschernobyl? 14th District Projekt von METASITU und Teta Tsybulnyk erforschte diese Frage zusammen mit Stadteinwohner*innen von Slawutych, das von Tschernobyl immer noch abhängig ist. Im Interview mit osTraum verraten uns Liva und Eduardo spannende und tiefgehende Details über das Projekt.

Die Geburtsstunde eines urbanen Projekts

osTraum: Zum ersten Mal haben wir über 14th District auf der Buchpräsentation von „Reclaim, recode, reinvent. Urban Art and activism in Eastern Europe“ gehört und fanden die Idee sehr spannend. Könnt ihr erzählen, wie das Projekt entstanden ist?

METASITU: 14th District ist unsere gemeinsame Arbeit mit Teta Tsybulnyk. Zu dieser Zeit war sie die Programmkoordinatorin auf dem 86 – Film und Urnanismus Festival in Slawutytsch, das im Rahmen des ukrainischen Tandemprogramms stattfand.

METASITU (Liva & Eduardo) und Teta Tsybulnyk

Unsere Zusammenarbeit startete mit dem Gespräch über die Zukunft von Slawutytsch. Die Stadt wurde 1986 nach der Explosion in Tschernobyl gebaut, um die Arbeiterbevölkerung aus dem Kernkraftwerk umzusiedeln. Die Stadt musste damals sehr schnell gebaut werden. 

Slawutytsch ist in der Nordukraine mitten im Wald entstanden. Die Stadt befindet sich direkt an der Pendelstrecke zum 80 km entfernten Atomkraftwerk.

Das Kernkraftwerk Tschernobyl als solches arbeitete noch bis 2000, und ist bis November 2016 immerhin der größte Arbeitgeber der Stadt geblieben. Erst später kam es zur Entscheidung, den Reaktor 4 mit einem “Sarkophag” – einer Schutzhülle – zu überdecken, um die Strahlung für die kommenden 100 Jahre einzudämmen.

Slawutytsch war wahrscheinlich nie eine durchschnittliche „Atomstadt“. Aber als wir im Frühling 2016 mit Teta zusammengekommen sind, dachten wir, wie die Stadt ihre Atomstadt-Gestalt langsam hinter sich lassen wird und was das für ihre Zukunft bedeuten würde.

In der gleichen Zeit waren wir aber auch daran interessiert, das unglaubliche Bauerbe von Slawutytsch zu erforschen und unsere Erkenntnisse als ein erlösendes Mittel zum Vorhersagen der Stadtzukunft zu verwenden.

So wurde 14th District geboren.

Slawutysch und Athen: Ruinen und Stadt

osTraum: Athen diente euch als Hauptinspiration für 14th District. Warum Athen? Was haben Athen und Slawutytsch gemeinsam?

METASITU: Sowohl Athen als auch Slawutytsch sind Städte, die nicht ohne ihrer Ruinen unvorstellbar sind. In Athen sind es die Akropolis, aber auch solch neu entstandenen Ruinen wie das alte Flughafen oder die in Folge der aktuellen Krise geschlossenen Läden. Für Slawutysch ist Tschernobyl eine Ruine, jedoch anders als die Akropolis. Sie befindet sich weit entfernt vom Zentrum Slawutytschs und ist immer noch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor für die Stadt (in erster Rolle als der größte Arbeitgeber).

Die beiden Städte spielen eine Schlüsselrolle in der westlichen Kultur. Athen war der Geburtsort der Demokratie und der westlichen Denkweise. Slawutytsch ist das Ergebnis der größten ökologischen Katastrophe, die zum Kollaps der Sowjetunion geführt hat. Die unterschiedlichen sowjetischen Republiken sind damals zusammengekommen, um gemeinsam eine Stadt aus dem Nichts innerhalb sehr kurzer Zeit zu erbauen.

Das sind die Städte, die heute im Kontext einer Notlage existieren und keine klare Zukunft haben. Die Städte, die am Rande Europas sind, wo die existenzielle Debatte der Zugehörigkeit, Nationsbildung und Transnationalität viel stärker zum Ausdruck kommt als in traditionellen Machtzentren. Sie sind Randgebiete, aber keine Peripherien. 

Athen

Das stimmt schon, dass die beiden Städte sehr unterschiedliche Zeitrahmen haben. Slawutytsch ist 30 Jahre alt und Athen wird schon seit 3.000 Jahren bewohnt. Aber wir haben das Gefühl, dass die erwähnten Aspekte genau die Stützpunkte sind, die Brücken zwischen den beiden Städten bauen können. 

Slawutysch: Das einzigartige urbane Projekt

osTraum: Zweifelsohne ist Slawutytsch eine einzigartige Stadt, aber es gibt definitiv noch viele andere ähnliche Städte in der Ukraine, die in der Sowjetischen Zeit gebaut wurden und heutzutage gleiche Probleme wie Slawutytsch haben. Wo sonst in der Ukraine könnt ihr euch noch einen 14th District vorstellen?

METASITU: Nein, Slawutytsch ist als urbanes Projekt absolut einzigartig. Nicht nur in der Ukraine, sondern auch weltweit. Die Stadt war auf einmal mitten im Wald, nach dem Generalplan eines ukrainischen Architekten gebaut. Jede Nachbarschaft wurde von einer anderen sowjetischen Republik gebaut, man brachte eigene Architekten, Maurer, Ingenieure und sogar Baumaterialien mit.

Die Architekten haben dieses Projekt als eine Chance genutzt, um die besten Beispiele der modernistischen Architektur zu demonstrieren (das waren die späten 1980er, also es ging um sehr späten Modernismus) und gleichzeitig eine gewisse einheimische Note dem Ganzen zu geben. So ist zum Beispiel die Ausmauerung mit Kalktuff im Jerewan-Bezirk etwas sehr typisches für die armenische Hauptstadt, ebenso wie Arabeske-Designs im Baku-Viertel oder Georgskreuze in der Tiflis-Nachbarschaft. Auf diese Weise sind zehn Bezirke entstanden. Drei weitere Stadtteile folgten in den 1990ern, ihr Erscheinungsbild war allerdings nicht extern beeinflusst.

Slawutytsch

Slawutytsch ist absolut einzigartig. Du wanderst durch die Stadt und siehst Fahrradwege und geräumige Fußgängerzonen, makellose Beispiele der modernistischen sowjetischen Architektur… Umgeben von einem Kieferwald vermittelt Slawutytsch so ein tolles Gefühl der Erholung, das wie ein Kurort wirkt. Die Stadt wurde nicht nur aus rein utilitaristischem Zweck gebaut (häufig entstanden ja die Städte rund um die Fabriken als deren Ergänzung). Das Ziel war, eine Umgebung zu schaffen, die den von der Tschernobyl Explosion betroffenen Menschen helfen würde, dieses Trauma zu überwinden.

Dieses unglaubliche Architekturerbe von Slawutytsch wollten wir mit 14th District ehren. 

Hinter den Kulissen der Thinking Group

osTraum: Ein Teil des Projektes, soweit ich das verstanden habe, war die Arbeit der Thinking Group, die Ideen zum 14th District entwickelte. Wie sah der Arbeitsprozess aus? Gab es dabei bestimmte Schwierigkeiten?

METASITU: Nachdem wir die Unterstützung des Bürgermeisters bekommen haben, haben wir uns entschieden, dass 14th District in einem der neuen Stadtbezirke, Dobryninskyi, in einem Open Space mit 5.000 qm Fläche, stattfinden wird.

Das erste Treffen wurde auf einem leeren Territorium organisiert, um Bewohner*innen zu treffen und ihnen das Projekt vorzustellen. Viele Menschen sind gekommen. Sie waren neugierig. Die Idee war allgemein sehr gut angenommen. 

Das erste Treffen der Thinking Group in Slawutytsch

Es wurde entschieden, dass der neue Bezirk von einer Gruppe der Einheimischen konstruiert wird. Diese Gruppe sollte das Hauptteam werden, eine „Thinking Group“, die sich direkt mit den Fragen über den neuen Bezirk beschäftigen würde.

Das Projekt wurde auf der Basis von zwei Fragen organisiert:

  1. Was bedeutet es, einen Bezirk im heutigen Slawutytsch zu haben?
  2. Wie übersetzt man einen urbanen Kontext in den anderen?

Die Thinking Group würde die erste Hälfte des Projektes in Slawutytsch verbringen, um über die Bedeutung des neuen Bezirks in der Stadt nachzudenken, wie das aussehen würde, ob das die Bedürfnisse der Bürger*innen erfüllen müsste etc.

Die zweite Projekthälfte wäre dann in Athen, wo die Folgen des „Übersetzungs“-Prozesses beim Übertragen eines urbanen Kontextes in einen anderen analysiert würden. Es ging insbesondere um die Vereinbarkeit, Prozesse. Die Woche in Athen diente dazu, bestimmte Design-Elemente im Hinblick auf das Wissen aus Slawutytsch herauszufiltern. Die Kulmination dieses Prozesses war die Konzeptualisierung und Konstruktion von 14th District.

Abgesehen von der Logistik und den Einschränkungen, die mit dem Überqueren der Schengen-Grenzen verbunden waren (zu dieser Zeit brauchten Ukrainer noch Visa, um in den Schengen einzureisen), bestand die Herausforderung darin, die allumfassende Repräsentation von Athen zu liefern. Natürlich wäre die subjektive Wahrnehmung ein Teil der Erfahrung, genau darauf müssten aber die Teilnehmer*innen der Thinking Group in ihrer Arbeit eingehen.

Die Woche wurde in sechs Episoden organisiert, jeden Tag eine neue Episode. Das erste Kapitel bezog sich auf die Idee der Ruine, als eines gemeinsamen Merkmales von Slawutytsch und Athen, aber auch als eines dominierenden externen Narrativs der beiden Städte. Die folgenden Tage wurden damit verbracht, auf die unterschiedlichen Ebenen der Stadt zu blicken: die Stadt, die Nachbarschaft, das Gebäude, das Objekt und das Teil.

Diese sechs Perspektiven waren dafür da, um die Dynamiken Athens – von größten hin zu den kleinsten – zu verstehen. Die Thinking Group hat sich die ganze Woche nicht nur mit dem urbanen Kontext von Athen vertraut gemacht, sondern auch Strategien entwickelt, um die Ergebnisse für 14th District verwenden zu können. 

Die Gruppe war dazu bestimmt, Slawutytsch die Empfindung der Stadt zurückzubringen. Genau dieses ständige Gemisch der Gefühle und der Umvorhersehbarkeit, die Beziehungen zwischen Leuten, Räumen und Gebäuden in Athen prägt, so eine Art des gemeinschaftlichen Chaos. Da Slawutytsch im Gegenteil sehr homogen ist, fand die Thinking Group diese Idee der Koexistenz unterschiedlicher Elemente in Harmonie zu einander essenziell für das athenische Element.

Thinking Group in Athen

Dieses Element wurde als ein solches betrachtet, das sich ständig weiterentwickelt. Übertragen auf den Bezirk bedeutete dies einen kontinuierlichen Veränderungsprozess. Diese Veränderung würde sich mit der Zeit an die Menschen anpassen, aber auch die Menschen selbst müssten sich an sie anpassen. 

Der Samen für den Chaos. Der Auslöser für die Veränderung. Der neue Anfang. Die unerwartete Zukunft.

Das war ein Auslöser für den Chaos, jedoch für den Chaos, den wir nicht vorhergesehen haben. Das Projekt verursachte eine intensive lokale Debatte über die Intervention der öffentlichen Kunst in die Stadt auf sozialen Netzwerken.

osTraum: Wie wart ihr in die Arbeit der Thinking Group in Slawutytsch und Athen involviert?

METASITU: Wir haben das Programm mit offenen Vorträgen und Workshops von Stadtexperten kuratiert, die nach Slawutytsch gekommen sind, um sich im Herbst mit der Thinking Group auszutauschen. Wir haben den einwöchigen Frühlingsbesuch der Thinking Group in Athen geplant. Beim Bau der Mauer haben wir natürlich auch mitgemacht und haben uns auch mit den Resonanzen auseinandergesetzt. Aus Eigeninitiative haben wir mit der Thinking Group beschlossen, einen Film über das Projekt zu drehen. Während wir nicht in Slawutytsch waren, wurde unser Engagement in dieser Stadt fortgesetzt. Als METASITU kuratierten wir letztes Jahr das 86 – Film und Urnanismus Festival.

14th District Ausstellung in Slawutytsch

Wir setzen unsere Arbeit in Slawutytsch fort. Gerade organisieren wir ein großes Treffen von Architekturstudent*innen in Slawutytsch, in der Hoffnung, mehr Aufmerksamkeit für das unglaubliche und wichtige modernistische Architekturerbe von Slawutytsch zu erregen.

Die Stadt im Aufruhr

osTraum: Welche Rückmeldungen habt ihr zum 14th District bekommen?

METASITU: Nach der Rückkehr aus Athen hatte die Thinking Group einen Monat, um ihre Visionen umzusetzen und den Athenischen Bezirk zu erschaffen. Unter anderem wurde der Bau einer Mauer beschlossen – 19 m lang und komplett mit A4-großen Anzeigen bedeckt. Anzeigen dieser Art hingen überall in der Stadt auf Türen der Hauseingänge. Auf unseren Anzeigen sollten unser Projekt und sein Entstehungsprozess erklärt werden. 

Gleichzeitig mit dem Filmfestival 86, das in Slawutytsch zum vierten Mal stattfand, wurde auch unsere Mauer der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Thinking Group hat über ihre Eindrücke aus Athen erzählt und wie diese Erfahrung zur Erschaffung eines Athenischen Bezirks beitragen könnte.

Impressionen aus Athen

Eine Woche nach der Eröffnung haben wir aus einem Online-Forum für Slawutytsch erfahren, dass die Mauer verschwunden ist. Der Chat begann in etwa so: 

„Wo ist dieser Bezirk? Die Geschichte einer Mauer. Achtung! Achtung! Achtung! Ein interdimensionales Portal hat den Athenischen Bezirk verschluckt!!! Wer wird das nächste Opfer?“

Dieser Post löste sehr viele unterschiedliche Reaktionen aus. Manche beschwerten sich, dass man von dem Geld lieber ein Spielplatz für Kinder hätte bauen müssen. Andere freuten sich, dass es Leute gibt, die sich mit den Leerräumen in der Stadt beschäftigen, sonst blieben sie sowieso leer. Es war fantastisch zu sehen, wie aktiv Menschen diskutiert haben.     

Die Gruppe im Internet-Forum hieß „Die Überschriften von Slavutych“. Es war eigentlich nichts weiter als eine Gerüchteküche der Stadt. So entstand der Mythos des Athenischen Bezirks. Und was ist schon besser für die Gründung eines neuen Bezirks als ein Mythos? Das hat perfekt funktioniert. Weiter ging es im Forum um folgendes…hier ein Ausschnitt übersetzt aus dem Ukrainischen:

„Ein interessantes internationales Projekt, das während des „86“ Film Festivals entstand, ist zu einem Phantom geworden.

Es gibt wahrscheinlich nur wenige Menschen in Slawutytsch, die von dem 14. Bezirk – dem Athenischen Bezirk – nicht gehört hätten. Die Einheimischen wurden gefragt, was sie hier gern sehen würden. Sie hatten verschiedene Vorstellungen – Neu-Bewirtschaftung von verlassenen Gebäuden, Bau eines neuen Spielplatzes oder schlicht Bänke zum Sitzen.

Stattdessen fuhren ein paar Bürger*innen Slawutytschs nach Athen und ließen sich von der Kultur der Stadt und ihren urbanen Fabriken inspirieren. Dabei entstand die Idee, eine Installation zu kreieren, welche die Geschichte beider Städte widerspiegeln würde. Die Installation stand etwas länger als eine Woche. Das war ein schöner Moment für die Stadt.

Wird dieser Ort zu einer Stadtlegende? Wird es nun einen Sponsoren geben, der Bürger*innen Tickets nach Athen spendiert? Bringen solche Projekte etwas für die Stadt? Es dauerte nicht mal einen Monat und soll eine ewige Legende werden. 

Der 14. Bezirk wurde von Stadtbeamten „gewaltfrei“ wegtransportiert. Die Stadtverwaltung entschied, dass das Projekt an einer falschen Stelle geschaffen wurde und deshalb weg musste. Nun ist davon nur eine Legende übrig geblieben, die wir an unsere Kinder weitergeben werden.“

osTraum: Ihr habt für eure Thinking Group mit einem Open Call nach Einheimischen gesucht. Wie interessiert waren die Bürger*innen von Slawutytsch und nach welchen Kriterien wurden sie ausgesucht?

METASITU: Wir haben im Open Call eine große Anzahl an Bewerbungen und auch sehr viel positive Resonanz erhalten.

Nach Maidan haben wir in vielen ukrainischen Städten ein intensives Gefühl des zivilen Engagements erlebt. Der Raum für das aktive Bürger*in-Sein ist in der Ukraine heute größer als irgendwo, wo wir es bereits erlebt haben. Die Menschen sind bereit, sich mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Es ist ein Gefühl der Verantwortung, des Handelns und der Aufregung.

Auszüge aus dem 14th District Buch

Diese sozialen Prozesse machen dieses Land in Bezug auf unterschiedliche Ideen und Reaktionen äußerst fruchtbar, was unserer Meinung nach ein großartiger Rahmen ist, um neue diskursive Gedanken über Urbanisierung und Praktiken des sozialen Engagements zu entwickeln.

Für Slawutytsch suchten wir uns die engagiertesten und mutigsten Menschen aus. Es stellte sich heraus, dass dies eine fantastische Mischung war, die ein breites Spektrum abdeckte – Alter, Interessen, Fähigkeiten und Referenzen. Einige haben direkt in Tschernobyl gearbeitet, einige waren zu der Zeit Teenager*innen oder Beamt*innen.

Warum es bei urbanen Projekten nicht um Stahl & Beton geht

osTraum: Was war das Ergebnis des Projekts „14th District“? Wie sieht die Zukunft der gesammelten Ideen und Gedanken aus und wo kann man sie sich anschauen?

METASITU: Es gab eine Ausstellung und ein Buch. Außerdem arbeiten wir gerade an einem Film. Oft bewertet man das Ergebnis von solchen Partizipationsprojekten anhand von Ausstellungen, Büchern und Filmen. Doch das tatsächliche Ergebnis liegt woanders und lässt sich kaum messen. Es sind individuelle Transformationsprozesse und andere nicht materielle Erfolge.

Bei dem Projekt ging es nicht darum, ein neues Bezirk zu erbauen, es ging auch nicht um Stahl, Beton & Pläne. Es ging darum, wie dieser Prozess die Menschen verändert hat, die daran teilgenommen haben -– als aktive Mitglieder der Thinking Group, als Teilnehmer der Diskussionen auf sozialen Netzwerken oder als Gäste bei einem unserer Events, zum Beispiel bei öffentlichen Vorlesungen oder die Eröffnung der Mauer.

Unterwegs in Slawutytsch

Wir sehen den Bedarf, die Erfahrungen mit anderen zu teilen. Durch Ausstellungen, Bücher und Filme. Es ist aber genauso wichtig, dass die eigentliche Quintessenz des Projekts immateriell bleibt. Ihre Materialisierung ist eine Übersetzungsübung, bei der die Quintessenz nicht verloren gehen darf. Dabei entwickeln wir ständig „durchlässige Stämme“, wie wir es nennen.

Bei unserem nächsten Projekt „WE ARE NEVER ALONE“ werden diese erkundet. Dafür laden wir zehn Leute ein, die bei solchen partizipatorischen Aktionen mitmachen, sich uns in Iwano-Frankiwsk in der West-Ukraine anzuschließen. Da werden wir kritisch über Möglichkeiten und Fallen solcher Aktionen nachdenken. Das zweite Ziel wird es sein, Dynamiken zu entwickeln, mit denen wir verschiedene Communities aktivieren können, wodurch duale Debatten und neue diskursive Linien in diesen Gemeinschaften entstehen.

Das Programm ist offen für alle, die an Projekten der sozialen Partizipation arbeiten, ganz gleich, ob Architekt*innen, Künstler*innen oder Aktivist*innen. Es werden auch diverse Kosten übernommen – Reise, Unterkunft, Taschengeld, Projektumsetzung und Honorare. 

METASITU: Entstanden aus Neugier

osTraum: 14th District ist ein kollaboratives Projekt von Teta Tsybulnyk und Metasitu. Was sind die Vorteile und Herausforderungen bei der Arbeit am gleichen Projekt, jedoch mit unterschiedlichen Künstler*innen oder Kurator*innen?

METASITU: Unsere Arbeit ist an sich eine Zusammenarbeit zwischen uns beiden – Liva und Eduardo. Der DIY-Trend basiert ebenfalls auf Zusammenarbeit – Menschen teilen mit anderen Menschen Informationen darüber, wie man Sachen selber macht. YouTube-Tutorials sind so ein Beispiel für geteiltes Wissen. Das Prinzip solcher Tutorials haben wir vor ein paar Jahren durch ein Häuslichkeit-Projekt aus Tokyo erfahren (Objects For Expanded Living).

In allen unseren Publikationen rufen wir die Leserschaft dazu auf, unsere Inhalte zu fotokopieren und zu verbreiten. Wie befürworten das radikale Teilen, das den Kapitalismus und andere Formen von unterdrückender Macht erschüttern kann.

Die Arbeit mit Teta liegt uns sehr nah. Sie ist Projektkoordinatorin von einem neuen Projekt von uns – The Degrowth Institute. Mit dem Projekt möchten wir zeigen, dass der Bevölkerungswachstum in Städten kein Erfolgskriterium ist. Unser Schwerpunkt liegt dabei auf schrumpfenden postindustriellen Städten in der Ost-Ukraine. Beim AFTER<ITY Projekt wird Teta insgesamt 12 Menschen zusammenbringen, die in schrumpfenden Städten in der Ukraine und Deutschland leben. Sie sollen zu Aktivist*innen werden, die verstehen, dass auch eine schrumpfende Stadt erfolgreich sein kann.

osTraum: Erzählt etwas mehr über METASITU. Wer seid ihr und an welchen weiteren Projekten arbeitet ihr aktuell?

METASITU: METASITU ist ein “meta life” Projekt. Wir waren sehr neugierig und starteten das Projekt, um unsere Neugier zu stillen. Wir haben Kunst nicht studiert, nutzen sie aber bewusst, um neues Publikum zu erreichen und unsere Praktiken fortzusetzen. Uns ist auch bewusst, dass wir in einer privilegierten Situation sind, weil wir über Pässe verfügen, die uns den Zugang zu vielen Ländern erlauben. Außerdem verfügen wir über Kenntnisse der gängigsten internationalen Sprachen. Wir nutzen diese Privilegien, aber nicht auf Kosten Anderer.

Unser Projekt FOUNDATION bestand darin, dass wir sechs Leute über einen anonymen Open Call ausgewählt haben, um mit uns eine Woche in einer Galerie in Bonn ohne Internet zu wohnen und dabei ein Projekt für eine neue Stiftung und eine neue Community zu entwickeln.

Das Video TDCU 1ZZ entstand aus unserem Vorhaben, zu der weitentferntesten unbewohnten Insel zu fahren – Tristan da Cunha im Süd-Atlantik. Die Umsetzung des Projekts war ein Desaster, doch durch die Erfahrung dieser Reise war es für uns trotzdem ein Gewinn.

All unsere Projekte bringen uns weiter. Die Urbanisierung, unser Hauptinteresse, ist nichts mehr als eine Folge von zwischenmenschlichen Praktiken, die wir nutzen, um zu kommunizieren, sich zueinander zu verhalten. Wir wollen verstehen: Wie verhalten wir uns zu einander und zu unserer Umgebung? Können wir all das auch anders tun?      



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