Er springt über den Dächern einer Großstadt. In seiner Hand hält er eine scharfe Klinge. Er ist aber kein Assassin. MARVEL-Manager könnten meinen PÉRÁK ist kein passender Name für einen Superhelden. Spider Man, Iron Man, X-Men oder vorchristliche Mythen sind im Trend. Und was sollen diese Akzente? Ist der auch noch Franzose? Ein Franzose ist er nicht, aber das mit vorchristlichen Mythen könnte hinhauen.
Während der deutschen Besatzung der Tschechoslowakischen Republik 1938-1945 entstand unter Prager Bevölkerung die Legende über den braven Schornsteinfeger, der den Besatzern das Leben schwer machte. Sabotagen und Attentate jeglicher Art gehörten zu seinem Repertoire und mit riesigen Sprungfedern an seinen Füssen konnte er dem Feind immer davon springen. Er beschützte aber die tschechische Bevölkerung nicht nur vor den SS-Männern und Wehrmacht-Soldaten. Der weibliche Bösewicht Die Walküre gehörte ebenso zu seinen Erzfeinden. Zwischen 1943 und 2018 gab es insgesamt über 10 Versionen von PÉRÁK – als Zeichentrick- und Comic-Figur im 20. und 21. Jahrhundert, dargestellt auf der Theaterbühne oder ausgenutzt als Held des Sozialismus.
Die neueste Version von Petr Stančík wurde 2008 und 2016 auf Tschechisch herausgegeben und nun auch 2019 auf Deutsch. Mit einer “Zusammenfassung” der bis dato gewesenen Geschichten über PÉRÁK wäre zu wenig über das Werk gesagt. Das Buch ist so viel mehr und keineswegs eine Zusammenfassung. Heute erscheint die Geschichte von PÉRÁK als eine nüchterne Darstellung der Absurdität des Alltags während der deutschen Besatzung, die durch den Superhelden zu einem erschreckend realistischem Märchen über Prag wird. Die Geschichte nimmt ein unerwartetes Ende und das magische Wesen des Helden wird von der Abstrusität einer neuen Realität eingeholt.
Dem Autor und dem Verlag ist ein kleines Opus gelungen, das gleichzeitig auf ein diverses Zielpublikum trifft – Comic-Fans und Kulturwissenschaftler*innen, Science Fiction-Begeisterte und (Hobby-)Historiker*innen oder einfach Menschen, die vielschichtige und ungewöhnliche literarische Werke mögen, werden die Lektüre genießen. Die Geschichte wird von einer Großzahl von kleinen Zeitzeugnissen – Fotos, Plakaten, Grafiken – begleitet, die zeigen, wie glaubwürdig die Geschichte eines Beschützers sein könnte, der wohl die vorzüglichsten Eigenschaften von Švejk und dem Golem vom Rabbi Löw in sich vereint hat.

Zum Buch auf der Verlagsseite: EDITION CLANDESTIN
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