“Früher war alles besser…” – hat nicht jede*r von uns diesen Satz schon mal gehört? Ganz sicher. Von Lehrer*innen, Eltern, Großeltern, erfahrenen Kolleg*innen oder von sich selbst. Was hat dieser Satz an sich und warum sagen wir ihn? Die Erinnerung als Nostalgie heißt die Antwort. Mariella Gronenthal ist dieser Frage auf den Grund gegangen und hat dabei die “guten alten Zeiten” in Polen und dem Osten Deutschlands verglichen.
In ihrer Arbeit untersucht die Forscherin, wie sich Erinnerungen in der Literatur der zwei Staaten wiederspiegeln, die eine sozialistische Vergangenheit haben – die ehemalige DDR und die PRL (Polska Rzeczpospolita Ludowa, de.: Polnische Volksrepublik). Dass die beiden Staaten auch noch geografische Nachbarn sind, macht den Vergleich perfekt und die Ergebnisse umso spannender.
Bevor es zum eigentlichen Thema kommt, müssen wir uns zwei harte Fakten vor Augen führen:
1. Bereits im 17. Jahrhundert kommt Nostalgie in medizinischer Literatur vor. Sie wird als eine psychische Erkrankung definiert. Die Erkrankten sind dabei von der Sehnsucht nach einem bestimmten Ort besessen.
2. Die Nostalgie ist eine Illusion. Oft blendet der Mensch bei dieser Vorstellung das Negative aus und idealisiert das Positive.
Im Mittelpunkt der Analyse stehen dabei die Romane “Bambino” von Inga Iwasiów, “Sandberg” (pl.: Piaskowa Góra) von Joanna Bator, “In Zeiten des abnehmenden Lichts” von Eugen Ruge und “Der Turm” von Uwe Tellkamp. All diese Werke sind zwischen 2008 und 2011 in Deutschland un Polen erschienen und blicken auf die Vergangenheit des jeweiligen Landes zurück. Das durchaus Gemeinsame ist das System der Nostalgie, das sich in Motiven der Räume, der Dinge und der Sinne wiederspiegelt. Auch die Neuverortung der Länder nach dem Fall des Sozialismus ist bei beiden gegeben.
Hierbei fangen aber auch schon die Unterschiede an – die ehemalige DDR hat sich an die BRD angeschlossen und musste sich dem System anpassen [oder nicht [Anm. d. Red.]]. Die PRL hatte keinen Staat zur Anpassung. Polen wurde wiedergeboren – eine Geburt, die nicht ohne Komplikationen verlief, was lediglich auch auf die DDR zutrifft. Hinzu kommt, dass das Trauma der autokratischen Regime unterschiedlich verarbeitet oder ignoriert wird. Die Notwendigkeit der tatsächlichen Aufarbeitung spielt dabei eine entscheidende Rolle, die erst 30 Jahre danach zu einem gesellschaftlichen Thema zu werden scheint.
Diese wissenschaftliche Abhandlung, die nebenbei bemerkt eine Doktorinarbeit ist, liest sich fast so leicht wie ein literarisches Werk. Es ist aber natürlich keine Lektüre, die man vorm Schlafengehen liest. Wenn das Interesse am Thema gegeben ist, eignet sich das Buch fürs Lesen in der Freizeit sehr gut. Und das ist bei weitem nicht bei allen fachlichen Publikationen der Fall. Die Untersuchung von Mariella Gronenthal ist nicht “nur” für die Wissenschaft wichtig, sondern bereitet auch Freude beim Lesen für jede Frau und jeden Mann.
Zu guter Letzt einige Film-Tipps zu den Schlagwörtern #Polen #Aufarbeitung #Nostalgie direkt aus dem Buch:
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Bildquelle (Titelbild): Eigene Aufnahme, Buchcover © [transcript]-Verlag