Straßenfotografie aus Belarus

Wie schaut es mit der Straßenfotografie in Belarus aus? Das osTraum Team begab sich auf eine Entdeckungstour durch die belarussische Street Photography Landschaft und sprach mit der Minsker Straßenfotografin Anna Veres über ihren Instagram-Kanal streetphoto.belarus.

osTraum: Wie lange gibt es schon streetphoto.belarus und wie ist die Idee für eine Instagram-Seite zu diesem Thema entstanden?

Anna: Diese Seite ist ziemlich jung, Ende Mai wird sie erst ein Jahr alt sein. Wie ist die Idee entstanden? Bereits in der Schule hatte ich viel Spaß an der Fotografie und am interessantesten war es für mich, Menschen zu beobachten. Mit der Zeit habe ich angefangen, nach den Fotos anderer Straßenfotografer*innen Ausschau zu halten und fing so an, selbst in Minsk zu fotografieren.

Zunächst habe ich diese Fotos auf meinem persönlichen Instagram Account veröffentlicht. Das waren allerlei Fotos – meine Reisefotos, Streetfotos und was weiß ich noch. Aber ich bin zum Entschluss gekommen, die beiden Accounts nach Themen zu gliedern und so ist streetphoto.belarus entstanden.

osTraum: Wer beschäftigt sich mit streephoto.belauras? Ist das nur ein Hobby oder etwas Größeres? Erzähle uns über dich oder auch über andere Teilnehmer des Projekts.

Anna: Diese Seite ist zurzeit nur meine Beschäftigung, das ist ein kleines privates Projekt von mir, alle Fotos sind von mir. Aktuell ist das nur mein Hobby, ich habe darüber noch nicht nachgedacht, aus diesem Projekt etwas Kommerzielles zu machen oder es irgendwie weiterzuentwickeln. Ich tue das eher zum eigenen Vergnügen.

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Anna – immer mit der Kamera unterwegs

Im Alltagsleben bin ich eine junge Frau mit Dreads, fast immer mit einer Kamera unterwegs und im IT-Bereich tätig. In unterschiedlichen Phasen meines Lebens hatte ich diverse Begeisterungen – tanzte Lindy Hop, lernte unterschiedliche seltsame ethnische Musikinstrumente und Gitarre zu spielen und beschäftigte mich nebenbei immer mit der Fotografie.

Manchmal, dank meinem Instagram Account, werde ich auf den Straßen in Minsk erkannt. Das ist lustig und sehr nett. Auf der Instagram Seite gibt es fast keine privaten Fotos von mir, nur ab und zu sieht man etwas von mir in Instagram Stories. Aber es zeigt sich, dass die Leute das verfolgen und sich dafür interessieren. Das ist cool!

osTraum: Gibt es streetphoto.belarus nur auf Instagram? Planst du, zum Beispiel eine Website oder eine Ausstellung für dein Projekt zu machen?

Anna: Momentan werden diese Fotos nur auf Instagram veröffentlicht. In erster Linie vor allem aus einem einfachen Grund: Am Anfang habe ich mir gar nicht gedacht, dass die Seite so viel Publikum anziehen und für jemanden interessant sein wird. Ich habe die Seite nur für mich selbst angelegt.

Der zweite Grund, warum die Fotos aktuell nur auf Instagram sind und nicht auf Stockfotografie-Plattformen oder auf den Ausstellungen, ist die Qualität der Fotos. Bis vor kurzem habe ich den Großteil der Fotos mit Handy aufgenommen, auf Instagram sehen die meisten Nutzer*innen die Fotos auf Handys oder Tablets, die Qualität fällt hier nicht so auf. Druckt man aber die Fotos in einem größeren Format aus, sehen sie nicht so angenehm aus.

Ich habe ein Vorbild in Straßenfotografie, zu dem ich strebe. Wenn ich soweit bin und sehe, dass meine Fotos diesem Vorbild mehr oder weniger entsprechen, werde ich mich weiterbewegen. Momentan bin ich dafür noch nicht bereit. 🙂

Die Website macht aus meiner Sicht nicht so viel Sinn, da aktuell insbesondere die Veröffentlichungen auf solchen speziellen Plattformen wie 500px, Flickr, auf Stockfotografie-Websites oder auch eben auf Instagram am beliebtesten sind. Wer braucht schon eine Website, wenn es viel einfacher ist, auf solchen Plattformen gefunden zu werden?

osTraum: Wie findest du Motive für deine Fotos? Wer sind die Protagonist*innen auf deinen Fotos?

Anna: Die Motive finden sich häufig im Alltag. Wenn man in der Stadt unterwegs ist, sich Fahrkarten kaufen oder Verwandte besuchen geht, zu den Freunden in eine andere Stadt hinfährt, die U-Bahn zur Arbeit nimmt oder einfach nach Hause mit Einkäufen, mit Tomaten in der Tragetasche, läuft.

Ich versuche in meinen Fotos nicht, Belarus in einem besseren oder schlechteren Licht darzustellen. Mein Ausgangspunkt ist die Einfachheit, die um uns herum ist und die häufig unbemerkt bleibt. Die zufälligen Passanten werden zu den Hauptfiguren meiner Fotos.

Manchmal gehe ich extra dafür spazieren, um Fotos zu schießen. Und natürlich werden die Fotos nach solchen Spaziergägen besser im Vergleich zu denen, die nebenbei in der Stadt gemacht werden. Denn so schaffe ich besser, interessante Momente mit der Kamera zu fangen, eine gelungene Komposition für das Foto zu finden. Dadurch entsteht etwas Interessantes, zum Beispiel eine Fotoserie. In Eile ist die Aufmerksamkeitsspanne zu niedrig, und viele Momente gehen einfach verloren.

osTraum: Viele Fotos auf streetphoto.belarus sind schwarz-weiß. Warum? Inwieweit ist es für dich wichtig, die Realität wie sie ist auf den Fotos zu zeigen?

Anna: Eine Zeitlang war ich überzeugt, dass die Fotos in schwarz-weiß besser sind, da dadurch das Motiv im Zentrum steht und die Aufmerksamkeit des*der Zuschauer*in nicht durch die Farbe abgelenkt wird. Außerdem ist es so einfacher, die Instagram Seite in einem Stil auszuhalten. Aber ich komme schon langsam dazu, auch die farbigen Fotos zu veröffentlichen, für mich bleibt hier allerdings die Einheitlichkeit ganz wichtig. Ich experementiere noch und weiß nicht, was daraus wird.

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osTraum: An wen richtet sich deine Instagram Seite? Gibt es einen typischen Abonnenten deines Kanals? Wenn ja, ist das jemand aus Belarus oder einem anderen Land?

Anna: Es ist schwer zu sagen, an wen sich mein Kanal richtet, aber bis jetzt sind die Abonnent*innen aus dem Ausland in Mehrheit. Ich glaube, meine Mission besteht darin, der Welt zu zeigen, dass es solch ein Land wie Belarus überhaupt gibt. Die Realien und den Alltag hier zu demonstrieren und keine touristischen Bilder der Kaipromenade oder Traezkae-Vorstadt zu posten, denn diese findet man ganz einfach über Google.

Es gibt den Wunsch zu sagen: Schau mal, das ist einfach ein Obdachloser, der im Zentrum von Minsk sitzt und bettelt, und hier ist eine Oma, die mit ihrem Hund in einem runtergekommen Stadtteil mit einfachen Holzhäusern Gassi geht, und da ist ein alter Schiguli, der schon 30 Jahre alt ist, aber noch durch die Stadt mit modernen Glasbauten fährt, und da ist ein Pferd mit dem Fuhrwerk in einem Dorf. Es sind wenige Leute, die so was merken. Wir, von hier, achten häufig gar nicht auf solche Momente, da sie für uns so gewöhnlich und routiniert sind.

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Ich unterhalte mich mit den Leuten aus unterschiedlichen Ländern und treffe mich manchmal mit Touristen in Minsk. Ich finde es interessant, mich mit ihnen auszutauschen und zu erfahren, wie sie Minsk und Belarus sehen. Sie wundern sich über solche Dinge, die für uns total normal sind! Diese Momente möchte ich auf den Fotos zeigen.

Die Abonnenten aus Belarus gibt es auch, aber weniger. Ich merke mir diejenigen, die immer meine Fotos kommentieren, und es gibt einige, die die ganze Zeit meine Veröffentlichungen mitverfolgen.

osTraum: Welches Feedback bekommst du von der Instagram Community zu deinen Fotos?

Anna: Hauptsächlich ist das Feedback positiv. Häufig bekomme ich private Nachrichten mit Lob für meine Arbeit, einige Leute schreiben sogar: Danke, ich wusste gar nichts über Belarus früher, und jetzt sehe ich, wie ihr lebt, das finde ich interessant, machen Sie weiter so, bitte. Es passiert, dass die lokalen Instagram Seiten aus Minsk meine Fotos bei sich veröffentlichen, einmal ist mein Foto unter den Top-Fotos der Woche auf unserem lokalen Newsportal tut.by gewesen.

Das heißt: Meine Fotos erscheinen von Zeit zu Zeit auch woanders, abseits meines Instagrams, aber das passiert sehr spontan und nicht oft.

Es gab ein paar Male, dass jemand geschrieben hat, wie können Sie nur Fotos von Menschen veröffentlichen, das ist gegen das Gesetz oder ist irgendwie sonst schlecht. 🙂 Ich kann nichts gegen solche Leute tun. Es wird immer Leute geben, die eine andere Meinung als du haben, aber es ist wichtig, diese Meinung zu respektieren und zu hören.

Auf jeden Fall sortiere ich vorher sorgfältig alle Fotos und lade nie solche hoch, die auf irgendwelche Weise die Menschen „blamieren“ könnten oder sie im schlechteren Licht darstellen würden, als das tatsächlich ist. Aber dieses Thema ist sehr subjektiv und man kann darüber sehr lange diskutieren. Also jetzt ist es auf meiner Seite so, wie es ist.

Es gibt auch einige Leute, die meine Photographien depressiv finden. Ich denke, das betrifft vor allem die schwarz-weißen Fotos, und nicht primer die Themen selbst. Wobei einige Themen in Belarus nicht unbedingt die positivsten sind. Aber dafür bleibt die Seite realitätsnah.

Einmal gab es lustiges Feedback: ein Abonnent aus Brasilien hat geschrieben: „Belarus is a real sad country or it is just as you see it??“

Alles ist in unseren Köpfen.

osTraum: Ist Straßenfotografie in Belarus eine schwere Beschäftigung? Hast du schon mal erlebt, dass die Menschen, die du fotografieren wolltest, strikt dagegen waren? Gibt es allgemein eine Community der Straßenfotograf*innen in Belarus bzw. kennst du andere Instagram Seiten mit der ähnlichen Thematik?

Anna: Ehrlich gesagt, ist das keine einfache Beschäftigung. Die Belarussen stehen ziemlich skeptischen den Leuten mit Kameras gegenüber und bemerken sie gleich. Für mich wird das noch weiterhin dadurch erschwert, dass ich ein ziemlich herausstehendes und einprägsames Äußeres habe. Mit meiner Kamera in der Öffentlichkeit werde ich so oft zu einem Forschungsobjekt. Aber ich habe mich schon daran angepasst und meine eigenen Tricks ausgearbeitet, wie ich weiterhin unauffällig bleiben kann und so die Momente festhalten.

Ich versuche viel in andere Länder zu reisen und dort ist es meistens allen egal, ob du in deinen Händen eine Kamera hast. Einige fangen sogar an, mir Modell zu stehen, wenn sie merken, dass ich sie fotografiere. In Belarus hat noch keiner versucht, mir die Kamera aus den Händen zu reißen, aber eine Missbilligung kann man schon fühlen. Also auf dem Markt zum Beispiel kann man schon angeschrien werden und gesagt bekommen, dass die Fotos verboten sind.

Einmal sind in meine Aufnahme zufällig die Mitarbeiter des belarussischen SEK (ОМОН) geraten, gleich danach kamen sie zu mir und baten, die Fotos zu löschen. Bei uns in Belarus ist es nicht erlaubt, ОМОН zu fotografieren. Nach ihrer Aussage, könnten solche Aufnahmen, besonders im Zusammenspiel mit einer reißerischen Überschrift, eine politische Provokation verursachen.

Ich hatte noch keinen Fall, dass jemand sehr stark gegen die Fotoaufnahme war. Aber wahrscheinlich nur deswegen, weil die Menschen häufig einfach nicht merken, dass sie fotografiert werden. Und falls sie das merken, sind sie meistens in Eile oder interessieren sich nicht dafür.

Insgesamt gab es bis jetzt noch keine Konflikte. Aber falls jemand sich auf dem Foto erkennen und mich fragen würde, das Foto zu löschen, würde ich das tun. Obwohl es in Belarus noch kein Gesetz gibt, das die Fotos ohne Erlaubnis der Menschen, die darauf abgebildet sind, zu veröffentlichen verbieten würde. Diesbezüglich habe ich mich schon von Juristen beraten lassen.

Eine Community der Straßenfotografen an sich habe ich bis jetzt in Belarus noch nicht gefunden. Ich sehe ab und zu die Instagram Seiten von Jungs und Mädels aus Minsk, die ebenso im «street» Genre fotografieren und das sogar sehr gut tun!

Ich möchte gerne eine Community der Straßenfotografen in Belarus aufbauen, die die Zusammenarbeit, den Austausch und vielleicht auch die Organisation gemeinsamer Ausstellungen ermöglichen würde. Zurzeit schaue ich mich erstmal um und versuche, zu verstehen, ob das Interesse an diesem Thema besteht. Bis jetzt habe ich noch keine öffentlichen Instagram Seiten, die der belarussischen Straßenfotografie gewidmet sind, getroffen. Also gibt es noch viel Potenzial. 🙂


Das Interview auf Russisch gibt es auch // Интервью с streetphoto.belarus есть и в оригинале, на русском: Interview osTraum streetphoto belarus.


Bildquellen: Alle Bilder © Anna Veres / streetphoto.belarus


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