DER Bulgare in Russland. Filipp Kirkorov.

Der Name von Filipp Bedrossowitsch Kirkorov wird hier zu Lande wohl kaum eine*m etwas sagen. Der bulgarische Sänger ist in seinem Heimatland (wahrscheinlich) einigen bekannt. In Russland ist er ein Star. Seine Karriere im Pop-Bizz begann vor 30 Jahren. 1988 hat er die Moskauer Musikhochschule Gnessin mit einem Sehr gut abgeschlossen. Entscheidend ist dabei auch, dass er der Sohn von Bedros Kirkorov ist, der den offiziellen Titel des Nationalsängers gleich in zwei Ländern trägt – in Bulgarien und in Russland. Seine Mutter Viktoria Markovna Kirkorova war eine Moderatorin. Seine Tante ist eine Opernsängerin. Die Liste seiner begabten Verwandten könnte hier noch lange fortgeführt werden. Die Tatsache bleibt trotzdem – unter Russ*innen ist er sehr bekannt und… ist er denn auch beliebt? Nicht nur bei Russ*innen…

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Putin & Kirkorov. © Kremlin.ru via Wikimedia (Lizenz CC BY 4.0.).

Vor wenigen Wochen erlebte die Musik des Künstlers ihre Wiedergeburt. Ja, nicht er selbst, sondern seine Musik. Das alte Publikum wird trotz der ausverkauften Konzerte nicht größer. Neue junge Fans müssen her. Dabei halfen ihm der in Estland geborene russische Moderator Ivan Urgant und der russische Entertainer Alexander Gudkov.

osTraum hat Menschen aus Bulgarien, Deutschland und Russland befragt, ob sie Filipp Kirkorov kennen und was sie zu seinem alten und seinem neuen Erscheinungsbild meinen. Wir haben ihnen das ältere Musikvideo von Filipp “Жестокая любовь” (de.: “Die grausame Liebe”) und das neueste mit dem Titel #цветнастроениясиний (de.: #diefarbederlauneistblau) gezeigt.

Meinungen über Filipp Kirkorov

Petya

Petya (Verlegerin, Berlin/Sofia):
“Ja, ich kenne ihn als einen bekannten Musiker, der irgendwie in einer Verbindung zu Bulgarien steht, jedoch in Russland lebt und arbeitet. Seine Musik mag ich überhaupt nicht und das neuere Video zeigt einen alternden Mann, der mit dieser Tatsache nicht klar kommt… finde ich zumindest. Ich kenne aber zu wenig Hintergründe über ihn und seine Musik. Was und warum er macht? Darauf weiß ich keine Antwort.”

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Dimitar (Politikwissenschaftler, Berlin/Varna):
“Ja, ich kenne ihn. In Bulgarien ist er sehr bekannt. Das erste Lied “Жестокая любовь”, wie der Titel schon sagt, beschäftigt sich mit dem populärsten Thema aller Zeiten. Für den Anfang der 2000-er Jahre ist die Ästhetik des Videos ziemlich typisch – keine besonderen Effekte, alles einfach, denn der Inhalt des Textes ist wichtiger als das Video. Vielleicht ist es auch deshalb eins der besten Lieder von Kirkorov. Sein neuestes Video beeindruckt mich nicht. Meiner Meinung nach ist das Video provokativ. Das Auftreten eines jungen Alkoholikers, der mit vulgären Gesten um sich wirft, steht ihm nicht. Das Lied an sich hat mir auch nicht gefallen. Wenn ich beide Videos vergleichen soll, dann war das von früher besser. Doch es ist so wie oft – die Geschmäcke unterscheiden sich. Oder vielleicht werde ich alt.”

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Olga (Kulturwissenschaftlerin & Journalistin, Berlin):
“Ja, ich kenne ihn. Oh mein Gott, das erste Video ist für mich eine richtige Zeitmaschine. Als ob ich 15 Jahre zurückgereist bin als meine Freundin Natascha aus Moskau über die Sommerferien nach Sotschi gefahren ist, um ihre Oma zu besuchen. Sie wollte, dass ich zum Konzert ihres Idols mitgehe. Sie ging zu all seinen Konzerten. Sie kaufte die teuersten Tickets für die ersten Reihen und das nicht nur in Sotschi, sondern auch in Moskau. Ein Mal bin ich mitgegangen und es war tatsächlich nicht so schlimm. Ich war aber nie ein Fan von ihm – er ist zu poetisch, zu episch, tierische Emotionen und kein Humor! Genau deshalb überraschte mich sein neues Video, auch wenn die Texte gleich geblieben sind. Es ist selbstironisch, was sehr schön ist. Seine Gestalt ist auf jeden Fall ziemlich queer und es bleibt für mich ein Geheimnis, warum er in Russland gleichzeitig bei Frauen über 50 und bei 14-jährigen Mädchen beliebt ist. Wenn das mal jemand untersucht, würde ich die Studie sehr gern lesen.”

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DJ Magvay (Musiker & Personal Trainer, Berlin):
“Ja, ich kenne ihn und auch beide Videos. Das erste ist sehr cool. Besonders, wenn man bedenkt, wann es gedreht wurde! Zu der Zeit gab es in Russland keine professionelle Musikvideo-Produktion. Das Lied und sein Image sind auch voll in Ordnung, wie Stas Mikhaylov von damals – das Sex-Symbol von Frauen über 50. Als ich aber das neue Video gesehen habe, wollte ich mich erst erhängen. Doch das ist Satire. Ein Video im Stil von Face und Элджей (Eldžej)… und wahrscheinlich allen Videos aus 2017/2018. Er macht sich offensichtlich über die jungen Menschen lustig. Er wollte eben die aktuellen Trends für sich nutzen, aber nur ein bisschen.”

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Mariella (Politische Bildnerin & wissenschaftliche Mitarbeiterin, Bielefeld):
“Ich kenne Kirkorov nicht. Zum älteren Clip – klassischer Balkanfolk, war mein Eindruck. Ein Sänger mit androgynem Auftreten, sehr gepflegt, Haare, um die ihn jede Frau beneiden würde, eine sanfte, melodische Liedführung mit angemessener Dramatisierung. Dazu das plakative Spiel mit schwarzweiß und roter Rose und das Setting am Theater, sehr selbstreferentiell. Es legt den Fokus stark auf die Inszenierung des Künstlers, der ja auch als einzige Figur auftritt und damit alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wie er sich durch das Theater bewegt, hat auch etwas sakrales, er schreitet da am Schluss diesen Mittelgang ab wie in einer Kirche. Das zweite Video ist natürlich ein irrsinniger Bruch, kaum zu glauben, dass das der gleiche Künstler sein soll. Alles eher als Ästhetik des Hässlichen inszeniert – der Künstler mindestens ein Antiheld, wenn nicht ein Schurke, vor allem sehr unsympathisch. Soll das Gesellschaftskritik sein mit den Zigaretten und dem Alkohol und den Kindern? Es ist ja auch musikalisch ganz anders. Nicht mehr sanft und seicht, sondern mit viel Synth, angepasst an aktuelle Popmusik. Ziemlich belanglos. In meinen Ohren deutlich belangloser als der erste Song, auch wenn der natürlich wahnsinnig kitschig ist. Ich fing gerade an, über die unterschiedliche Inszenierung des Trivialen und Banalen in beiden Videos nachzudenken, da kam der Bruch. Sehr cool, natürlich total meta. Da ist dann auch wieder eine Verbindung zum ersten Video. Mit der Theaterbühne wird ja auch eine selbstreflexive Ebene hervorgehoben. Wenn ich das akademisch auseinandernehmen müsste, würde mich die Frage der Oberflächlichkeit oder insgesamt der Oberfläche und der Inszenierung daran reizen. Ich habe allerdings die Texte nicht verstanden.”

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Morgan (Balalaika-Spieler, Gründer der Band Cosmonautix, Berlin):

“Kirkorov ist ein Meister des Kitsch. Das Musikvideo seines neuen Songs „Die Farbe der Laune ist blau“ lässt sich schwer mit seinen älteren Videos vergleichen, da es einerseits eine für Kirkorov ungewohnte Ästhetik hat, jedoch so kitschig ist, dass es wieder typisch Kirkorov ist. Am Ende des Videos kommt schließlich die Aufklärung, dass alles nur eine Idee des russischen Showmasters Ivan Urgant war, der ja bekanntlich für jeden audiovisuellen Spaß zu haben ist und sich Kirkorov eine ganz andere Story mit alten Omas und Blumen für das Video gewünscht hat. Kirkorov ist zum Glück auch ein Meister der Selbstironie, ansonsten wäre das Ganze nicht auszuhalten.”


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Titelbild © YouTube

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