– Sagen Sie, junger Mann, wann wurde Kiewer Rus getauft? – fragt bösartig der Prüfer den 17-jährigen Teenie.
– Kiewer Rus? – runzelt Iwan die Stirn – die Hauptfigur der Erzählung „Der Bote“ und des gleichnamigen Films von Karen Schachnasarow.
– Ja, Kiewer Rus, – wiederholt der Prüfer gelassen.
– Und Sie wissen das nicht? – sagt ein bisschen später ein anderes Mitglied der Prüfungskommission dazu.
Iwan zuckt mit den Schultern und sagt scheinbar zufällig, dass sein Gedächtnis für Daten eigentlich nicht so gut ist. Und wer braucht schon diese Universität? Vielleicht nur seine Mutter, die das so gerne hätte. Die Prüfung durchgefallen, verliert der junge Moskauer keinen Mut und wird mit Protektion von seiner Mutter als Kurier für das Magazin „Fragen der Erkenntnis“ angestellt. Inzwischen lernt Wanja, Träumer und Draufgänger, die Professorentochter Katja kennen. Die Studentin der philologischen Fakultät, zierliches Fräulein, lebt in einer Umgebung, die von Wanjas ganz abweicht. Die Eltern ihrer Freunde gehören der Nomenklatur und diplomatischen Kreisen an. VHS-Kassetten und Videorecorder, französisches Parfüm und Auslandsmagazine – das alles ist zugänglich für Bonzenkinder. Aber Wanja, Junge aus dem Arbeiterviertel in Moskau, wohnt in einer engen Wohnung mit seiner Mutter und belügt seinen Vater, der im Ausland arbeitet, dass er es an eine Uni geschafft hat.
„Sonderling“, – so charakterisiert Katjas Vater Wanja. Der Kurier sagt, was er denkt und folgt nicht den gesellschaftlichen Standards. Iwan geht nicht gleich nach der Schule an die Uni, obwohl es als angebracht gilt. Es reicht ihm nicht, dem Professor das Manuskript zu überreichen und bescheiden auf die Antwort im Flur zu warten, – er fragt rücksichtslos nach einem Sandwich und einem Tee und beginnt das Gespräch mit der Professorentochter. Am Anfang ihrer Bekanntschaft wird Katja von dieser Kühnheit bestürzt, später achtet sie kaum mehr darauf. Ohne Willen, den gewohnten Lauf der Dinge abzubrechen, kehrt Katja an den gut bekannten Weg des Wohlstands zurück. Verzichtend auf veraltete Standards und Regeln, sucht Iwan im Gegenteil nach einem eigenen Weg und lässt sich nicht mit kleinkariertem Wohlstand kaufen. Er will nicht wie die Anderen sein. An der Grenze zwischen Neuem und Altem, hat sich Wanja jedoch noch nicht über seinen Weg entschieden. Die Träume müssen nicht materiell sein. Ohne zu zögern, verschenkt er seinen neuen Mantel an seinen Kumpel Basin, der sich über die kommende Kälte und seine alte Jacke beschwert. „Träum’ von etwas Großem“, – bringt Iwan seinem Freund bei.
Der Bote, 1987 (Regisseur: Karen Schachnasarow)
Episode aus “Der Bote” auf YouTube
Bildquelle: © Мосфильм
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