Belarus: Black Lists & Konzertverbote. Wer steht dahinter?

Die Regel ist super simpel: Wer auf der belarussischen Bühne unerwünscht ist, kommt auf die schwarze Liste und verliert damit das Recht, vor den Leuten live aufzutreten.

Das niedrige musikalische Niveau, obszöne Lexik und das Propagieren von Promiskuität sowie Drogen- und Alkoholkonsum in den Lyrics können in den Konzerträumen zu einer unerwarteten Notfallsituationen oder Abwasserproblemen kurz vor Auftritten führen. Immer wieder finden sich Gründe, wenn ein Bühnenauftritt verhindert werden soll. Was steckt hinter all diesen Gründen? Ist das tatsächlich die Sorge der Behörden um die Halbstarken, die sich von der in den  Texten dargestellten Welt voller Flegelhaftigkeit und Bosheit anstecken lassen können? Oder ist es die Angst vor gesellschaftlichen Veränderungen, die den verrosteten Staatsleuten unangenehm sein können?

Obwohl manche der Absagegründe zunächst plausibel erscheinen, sind sie bei näherer Betrachtung oft doch nicht nachvollziehbar. Sich darüber offiziell beschweren? Es ist nicht möglich, da es keine Annahmestelle für solche Unzufriedenheiten gibt. Von wem solche Verbote ausgehen, weiß niemand so genau. Einige Betroffene behaupten, es seien auf jeden Fall keine Entscheidungen des Kultusministeriums oder der Ideologieabteilung [<- das gibt es in Belarus wirklich]. Zumeist soll es der Wille der Administration des Präsidenten Aleksander Lukaschenko sein. Andere zögern aufgrund der fehlenden Beweise, sich dieser Meinung anzuschließen. Als Betroffene fühlt man sich hilflos – eine Sackgasse à la Das Urteil von Kafka.

Die belarussische Band Ljapis Trubetskoj spielte bei der Euromaidan Revolution in der Ukraine. Danach durfte sie in Belarus nicht mehr spielen und hat sich in andere Bands ausformiert.

Die Regel ist super simpel: Wer auf der belarussischen Bühne unerwünscht ist, kommt auf die schwarze Liste und verliert damit das Recht, vor einem Publikum live zu spielen. Der belarussische Präsident selbst zeigt sich über die Musikverbote erstaunt und streitet seine Teilnahme an solchen Entscheidungen ab. Wer lässt dann die Bühnenauftritte ausfallen? Welch eine unsichtbare Macht steckt dahinter? Man weiß es nicht. Die Personen, die für die Verbote verantwortlich sein sollen, sind in der Regel sehr schwer oder gar nicht ausfindig zu machen. Sie sind wie Gespenster, die niemand zu Gesicht bekommt.

Wenn man nicht aufpasst, gerät man blitzschnell in die schwarze Liste, welche zu verlassen, sehr zeit- sowie kraftaufwendig ist.

Wie erkämpfen sich die Musiker*innen das Recht auf die Bühnenauftritte in den belarussischen Clubs und Konzerträumen unter solchen Einschränkungen seitens unsichtbarer staatlicher Akteure? Die Musikschaffenden versuchen „sich zu benehmen“. Sie weichen bestimmten politischen Themen bei Interviews aus. An politischen Aktionen nehmen sie nicht teil. Auf provokative Symbolik auf den Konzerten, wie die weiß-rot-weiße Flagge, wird verzichtet. Wenn man nicht aufpasst, gerät man blitzschnell in die schwarze Liste, welche zu verlassen, sehr zeit- und kraftaufwendig ist. Wenn es also einen Slogan für die Musiker in Belarus gäbe, könnte dieser ungefähr so klingen: Wenn du auf belarussischen Bühnen auftreten willst, sei unauffällig und pass dich an die Erwartungen des Staates an! Den Betroffenen stellt sich also die Frage: Mitspielen, Anpassen und somit auf einen Teil seiner Persönlichkeit verzichten oder lieber in die Rolle eines „sich benehmenden“ Rebellen schlüpfen?

Die Frage, ob sich die Lage für die Musikschaffenden in Belarus zum Besseren ändert, wird von den Betroffenen selbst eher skeptisch beantwortet. Der belarussische Rockmusiker, Bandleader (Mroja & N.R.M.) sowie Schriftsteller Ljawon Wolski ist überzeugt, dass die Auftrittsverbote weiterhin existieren werden und die Wende zum Positiven auf der belarussischen Bühne nicht zu erhoffen ist.

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Ljawon Wolski via TEATR.BY

Uladsimir Njakljajeu, ein belarussischer Dichter sowie der Anführer der öffentlichen Kampagne Sag die Wahrheit! (Bel.: Hawary Praudu!) im Jahre 2010, sagt zu den Auftrittsverboten in Belarus Folgendes:

„Die Tatsache, dass jemandem in einem bestimmten Moment der Auftritt doch erlaubt wird, heißt noch längst nicht, dass die Situation sich zum Besseren wendet. Besser wird es dann, wenn es nicht nur keine Verbote mehr geben wird, sondern auch keinen Bedarf an Erlaubnissen.“
(Quelle: belsat.eu)

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Uladsimir Njakljajeu via TEЛЕСКОП

Von den Verboten bleiben aber nicht nur belarussische Musiker*innen und Bands betroffen, sondern auch ausländische Künstler*innen. Die südafrikanische Rap-Rave-Band Die Antwoord ist auf der belarussischen Bühne nach offiziellen Angaben aufgrund des „niedrigen Musikniveaus“ nicht willkommen. Auch der russische Rapper Face, die russische Elektroband IC3PEAK, der russische Hip-Hop Künstler Элджeй und einige weitere bleiben weiterhin ein unerwünschter Teil des belarussischen Bühnenlebens.

Die Musikbranche in Belarus wird unterschwellig von der Zensur zerfressen, obwohl dies von den belarussischen Behörden eifrig geleugnet wird. Die in Ungnade Gefallenen lassen allerdings den Kopf nicht hängen und betrachten die Auftrittsverbote als eine Chance, in der belarussischen und internationalen Öffentlichkeit sichtbar zu bleiben. Besonders in Zeiten des Internets wird medial dafür gesorgt, dass die verbotenen Namen in Belarus nicht in Vergessenheit geraten. Die unerwünschten Musiker*innen werden im Bewusstsein der Belaruss*innen weiterhin existieren, solange über diese gesprochen sowie geschrieben wird…auch im World Wide Web ;-))


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Bildquelle (Titelbild): LINTU647

4 Kommentare

  1. Wissenstagebuch

    Danke euch für diesen spannenden und wichtigen Beitrag! Aus Belarus höre ich aufgrund fehlender Russischkenntnisse leider immer sehr wenig; zuletzt brachte der Weltspiegel (?) mal eine Reportage über Untergrundtheater in Minsk. Nach eurem Beitrag hat man ein wenig das Gefühl, dass sich die Kunst- und Kulturszene in Belarus trotz aller Widrigkeiten nicht unterkriegen lässt. Ich hoffe, der Eindruck täuscht nicht.

    1. Wissenstagebuch

      Ja, das kann sein. Ich bin mir nicht sicher, dass es dasselbe ist, wie damals in der Reportage, aber das ist gut möglich, wenn es – trotz seiner Untergrundtätigkeit – so bekannt ist.

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