„Zigeunerzeiten“ von Tamás Jónás

Tamás Jónás ist Rom. Ein Zigeuner, wenn ihr wollt. Mit seinem Erzählungsband „Als ich noch Zigeuner war“ fordert der ungarische Schriftsteller das Publikum heraus, er provoziert, phantasiert, aber bleibt gleichzeitig ehrlich und echt. Das Buch, seine bis jetzt die einzige Veröffentlichung auf Deutsch, besteht aus zwei Teilen: Der erste ist autobiografisch, der zweite ist den fiktiven Geschichten gewidmet.

Diese Geschichten verflechten sich aber untereinander. Die Cousinen, Geschwister und Nachbarn von Tamás werden zu Figuren in seinen Geschichten aus dem zweiten Teil. Erinnerungen aus der Kindheit oder Phantasien? Tamás Jónás täuscht den Leser, der langsam nicht mehr versteht, die Märchen von autobiografischen Fakten aus dem Leben des Schriftstellers zu unterscheiden. Zwar kann manches im „Als ich noch Zigeuner war“ märchenhaft vorkommen, viel Wahrheit steckt dahinter. Die Geschichten über die Armut und unerfüllte Träume, über Schmerz, Liebe und Vorurteile… Über das Zigeunersein in Ungarn, das Teenagersein im Dorf. So echt und aufrichtig, dass man zu glauben anfängt, den Tamás persönlich zu kennen. Nüchtern und ungeschmückt ist die Realität im Buch. So erinnert sich Tamás an seine Zeit bei Pflegeeltern:

„… und ich wusste nie, was ich falsch gemacht hatte, und dem lieben Kleinen gaben sie anständig zu essen, und ihm rissen sie nicht die Haare büschelweise aus, und ihn verfluchten sie nicht, und ihn schlugen sie nicht, ihn schlugen sie nicht, ihn schlugen sie nicht, sie schlugen ihn nicht“.

Der Band mit den Erzählungen von Tamás Jónás erschien in Deutschland (2006) in der Reihe „Literaturwunderland Ungarn“. Im Netz finden sich allerdings nur wenige Informationen zu dieser Reihe sowie allgemein zum Kortina Verlag, in welchem das Buch herausgegeben wurde. So gibt es offensichtlich noch viel Nachholbedarf, was die Popularisierung von ungarischen Literaturschätzen im deutschsprachigen Raum angeht…


Bildquelle: Eigene Aufnahme, Buchcover © Kortina

5 Kommentare

  1. Wissenstagebuch

    „So gibt es offensichtlich noch viel Nachholbedarf, was die Popularisierung von ungarischen Literaturschätzen im deutschsprachigen Raum angeht… “
    Du schreibst mir aus der Seele! Ich habe zuletzt György Dragomán und Szilárd Borbély gelesen und frage mich bis heute, warum deren Bücher nicht bekannter sind.
    Die von dir erwähnte Reihe zu ungarischer Literatur kannte ich allerdings auch noch nicht. Danke für diesen wertvollen Tipp!
    Viele Grüße
    Jana

      1. Wissenstagebuch

        Oh, vielen Dank. Einen Sammelband von ,,die horen“ habe ich mir letztens auch in einer Bibliothek ausgeliehen – gerade wegen der ungarischen Literatur. In die Ausgabe schaue ich bei Gelegenheit auf jeden Fall hinein.

  2. Clemens Prinz

    von tamás jónás gibt es noch den band „fünfunddreißig“ von einem kleinen verlag in wien. kann man eventuell in einem antiquariat finden. grüße clemens prinz (der übersetzer)

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.